Es erschienen folgende Periodika: O Negro (1911), A Voz D’África (1912-1913 sowie 1926-1930), Tribuna D’África (1913 und 1931-1932), O Eco D’África (1914-1915), Portugal Novo (1915), A Nova Pátria (1916-1918), O Protesto Indígena (1921), Correio de África (1921-1923 und 1924), A Mocidade Africana (1930-1932), África Magazine (1932) und África (1931 und 1932-1933).
Die Zeitschriften waren oft Sprachrohre der jeweiligen Organisationen, die ebenfalls damals gegründet wurden: Associação dos Estudantes Negros (Vereinigung Schwarzer Studierender; 1911), Junta de Defesa dos Direitos D’África (Ausschuss für die Verteidigung der Rechte Afrikas; 1912), Liga Africana (Afrikanische Liga; 1920), Partido Nacional Africano (Afrikanische Nationalpartei; 1921), Liga das Mulheres Africanas (Liga der Afrikanischen Frauen; 1929), Grémio ‚Ké-Aflikana‘ dos Africanos (Ké-Aflikana-Liga der Afrikaner; 1929), Movimento Nacionalista Africano (Afrikanische Nationalistische Bewegung; 1931).
Die Generation von 1911 bis 1932 entfaltet ihre Aktivitäten in Portugal zeitgleich mit entstehenden oder bereits etablierten Organisationen in den portugiesisch besetzten Gebieten, die ebenfalls Forderungen nach mehr Gleichheit und größerer Autonomie stellten. Diese Bewegungen in den „Kolonien“ fallen gemeinhin unter den Begriff movimento nativista (nativistische Bewegung). Wir richten unser Augenmerk hier allerdings auf Schwarzen Aktivismus in Lissabon und dessen Organisationen, wohl wissend um ihre Verbindung zu der Bewegung in Afrika.
Die Generation in Portugal ist aus der Geschichte getilgt worden, kaum etwas, fast gar nichts ist mehr über sie bekannt. Das lange Schweigen über die Vergangenheit ließ die Existenz Schwarzer Personen in Portugal systematisch vergessen und ist Teil eines zutiefst unterdrückerischen Prozesses [1].
Daher ist es von zentraler Bedeutung, dieses historisch gewachsene Verschweigen zu durchbrechen und die Rolle der Schwarzen Bevölkerung im politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Transformationsprozess der portugiesischen Gesellschaft wiederherzustellen. Dies ist umso dringlicher in einer Zeit, in der Portugal und die Welt gerade ein Erstarken der von Schwarzen Bewegungen angestoßenen antirassistischen Mobilisierung erleben.
Jornais @ montagem de Pedro Varela
Die verstummte erste Generation der Schwarzer Bewegung in Portugal im 20. Jahrhundert
In seinem posthum veröffentlichten Buch Origens do Nacionalismo Africano (Ursprünge des afrikanischen Nationalismus) leistet Mário Pinto de Andrade [2] Pionierarbeit, indem er Lebenswege und Positionierungen der Akteurinnen und Akteure dieser Generation ergründet. Die wichtige aber unvollendete Arbeit des angolanischen antikolonialistischen Aktivisten zielt vor allem auf das Verhältnis dieser Generation zu den Ursprüngen des afrikanischen Nationalismus ab. In diesem Artikel versuchen wir wiederum, uns in erster Linie auf die Bedeutung dieser Generation für die Transformation der Gesellschaft in Portugal zu konzentrieren: Ihre Bedeutung für die Gründung einer organisierten Schwarzen Bewegung im 20. Jahrhundert und für den antirassistischen Kampf im Land.
Die Generation war in Portugal aktiv, veröffentlichte in Lissabon Zeitschriften, baute Organisationen vor Ort auf, um einen Wandel in der „Metropole“ (dem „Mutterland“) wie auch in den besetzten Gebieten in Afrika herbeizuführen, stets verbunden mit der Schwarzen und panafrikanischen Bewegung weltweit. Allein die Schwierigkeit, sich Schwarze in Portugal vorzustellen, als Personen wie auch als Subjekte, die gesellschaftliche Veränderung herbeiführen, ist bereits einer der Gründe dafür, dass diese Generation weiterhin übersehen wird. Das Sichtbarmachen dieser Generation stellt im Grunde bereits die sich als homogen weiß vorstellende portugiesische Identität in Frage; ihr Verschweigen entspringt einem im Land weiterhin grassierenden strukturellen Rassismus.
Die Präsenz Schwarzer Menschen in Portugal ist seit mehr als fünf Jahrhunderten dokumentiert. Ihr Einfluss wirkte sich im Lauf der Jahrhunderte auf unterschiedliche Ebenen aus: Sprache, Religion, Theater, Literatur, Musik oder auch Landwirtschaft. Schon vor dem 15. Jahrhundert hinterließen aus Afrika kommende Völker ihre Spuren, allen voran die Karthager und Imazighen (Berber).
Die Generation von 1911 bis 1933 baute die erste organisierte Schwarze Bewegung des 20. Jahrhunderts in Portugal auf und war Vorreiterin im antirassistischen Kampf, wobei die Bedeutung anderer Formen der Organisierung in den Jahrhunderten davor, wie zum Beispiel Schwarze Bruderschaften, dabei nicht außer Acht gelassen bleiben sollten.
Was und welche Ziele vertraten sie?
Mit nur drei Ausgaben im Jahr 1911 trat die die erste Zeitschrift dieser Generation, O Negro, an die Öffentlichkeit mit dem Ziel, sich als kraftvolles und radikales Werkzeug im Dienst des Kampfes für die Rechte afrikanischstämmiger Menschen und gegen Rassismus zu positionieren. Die Zeitschrift wurde sechs Monate nach Ausrufung der Republik gegründet. Auf der ersten Seite der ersten Ausgabe stand:
„Unsere Sklaverei ist Jahrhunderte alt, durch sie erlitten wir Demütigung und Tyrannei (…) Wir wollen nicht mehr betrogen sein, sind es leid, weiter zu zahlen, sind die Bevormundung, Retter und Herren leid, und was wir anstreben, ist, unsere eigenen Ideen zu entwickeln und uns aus jeder Form von Tyrannei und Ausbeutung zu befreien, die uns versklavt und uns jeder Kraft der Gedanken und aller Äußerungen des gesellschaftlichen Lebens beraubt haben“ (O Negro, Nr. 1. Lissabon, 09.03.1911, S. 1).
Der Aufruf zur Emanzipation der Schwarzen sowie die Positionierung gegen Rassismus ziehen sich als Konstante durch die gesamten Veröffentlichungendieser Generation, von den radikalsten bis zu den moderatesten. Der Aktionismus ihrer Protagonisten entfaltete sich vor dem Hintergrund der durchgehend von gesellschaftlicher und politischer Auseinandersetzung geprägten Ersten Republik (1910-1926) - eine Zeit, in der sich ihre Positionen am freiesten äußern ließen. Zugleich intensivierte die Erste Republik andererseits das kolonialistische Projekt und entsandte militärische Kampagnen zur sogenannten „Befriedung“ mit dem Ziel der gewaltsamen Unterwerfung der Bevölkerung in Gebiete Guineas, Angolas und Mosambiks.
Was die internationalen Verbindungen betraf, waren die Schwarzen Aktivisten und Aktivistinnen im „Mutterland“ beeinflusst von den Debatten und Meinungsverschiedenheiten innerhalb des internationalen Panafrikanismus, dem sie sich als zugehörig empfanden, und somit hauptsächlich von der Lebenswirklichkeit in den Vereinigten Staaten von Amerika.
Die erste wichtige Organisation dieser Generation war die Junta de Defesa dos Direitos D’África (1912). Deren Spaltung führte zur Gründung der Liga Africana (1920) und der Afrikanischen Nationalpartei Partido Nacional Africano (1921). Später sollte aus der Vereinigung dieser beiden Lager dann wieder die politisch moderatere Nationalistische Afrikanische Bewegung (Movimento Nacionalista Africano, 1931) entstehen. 1933 endet mit dem Beginn des [faschistischen; Anm. d. Übersetzters] Estado Novo schließlich die letzte Publikation der Bewegung, die Zeitung África.
Als größter Widerspruch innerhalb der aktivistischen Generation stellte sich die Haltung zur Kolonialfrage dar. Die gesellschaftliche und politische Wirklichkeit in den afrikanischen „Kolonien“, dort herrschendes Unrecht und der Kampf für mehr Autonomie waren als Thema dieser Presseorgane permanent über die Jahre präsent. Doch eine tatsächlich antikoloniale Haltung mit der Forderung nach wirklicher Unabhängigkeit der besetzten Territorien wurde nie eingenommen. Auch deswegen nennt Mário Pinto de Andrade diese Generation „protonationalistisch“ im Gegensatz zur „afrikanisch nationalistischen“ Bewegung nach Ende des 2. Weltkriegs.
Die Junta de Defesa dos Direitos D’África etwa verteidigt 1915 im 1. Weltkrieg die Entsendung von Truppen in die Kolonien zur Wahrung kolonialer Positionen Portugals und feiert den Eintritt ins europäische Kriegsgeschehen [3]. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass dieser Akt im portugiesischen politischen Kreis nicht unumstritten war, da Institutionen der Republik es notwendig fanden, die portugiesische Präsenz in Angola und Mosambik gegen britische und deutsche Ansprüche zu verteidigen.
Mário Pinto de Andrade ist der Ansicht, die Bewegung sei an ihren politischen Widersprüchen zugrunde gegangen. Auch die Tendenz zur Einnahme nationalistischer portugiesischer Positionen verschärft sich mit den Jahren. Dabei muss zumindest bedacht werden, dass es die Möglichkeit gab, dass Aktivistinnen und Aktivisten unter der Militärdiktatur und dem anschließenden Estado Novo Repressalien ausgesetzt worden sein könnten, da ihre Presseorgane mit dem Aufstieg des Faschismus verschwinden.
Wer waren sie?
Bekannt ist, dass ein bedeutender Teil der Beteiligten an dieser Bewegung in Portugal schon als Kinder oder Jugendliche aus den Kolonien kamen, als Schüler*innen oder Studierende oder zum Arbeiten. Die soziale Zusammensetzung dieser Generation zu ergründen, ist schwierig, aber zumindest weiß man, dass es unter den Führungspersönlichkeiten Studierende, Ärzt*innen, Anwält*innen, Ingenieur*innen, Kaufleute, Journalist*innen, Lehrer*innen und Musiker*innen gab. Die aktivistische Basis jedoch ist weiterhin eine weitgehend unbekannte Größe [4].
Obwohl die Bewegung mehrheitlich von Männern geführt wurde, spielten auch Frauen eine Rolle, vor allen im Partido Nacional Africano und der mit der Partei verbundenen Frauenliga Liga das Mulheres Africanas, aus deren Zusammenhang Namen wie Georgina Ribas, Maria Dias d’Alva Teixeira oder Maria Nazaré Ascenso bekannt sind. Auch in der Presse findet der feministische Kampf zuweilen Widerhall. 1913 wird in der Tribuna D’África die Entscheidung im portugiesischen Kongress kritisiert, Frauen weiterhin das Wahlrecht zu verweigern [5], und in derselben Ausgabe wird der tragische Tod der englischen Suffragette Emily Davison gemeldet, die im Text als wahrhaftige Märtyrerin des revolutionären Feminismus bezeichnet wird [6].
Persönlichkeiten der Bewegung
Die herausragendsten Führungspersönlichkeiten dieser Generation waren José de Magalhães und João Castro, die sich über die Jahre heftige Diskussionen lieferten. José de Magalhães (1867-1959), in Angola geboren, war in Portugal bereits zur Schule gegangen und als Professor und Leiter des portugiesischen Tropeninstituts tätig. Er war Präsident der Liga Africana, Ehrenpräsident des Movimento Nacionalista Africano und seit 1921 Abgeordneter im portugiesischen Abgeordnetenhaus. João de Castro (1887-1955), in São Tomé geboren, studierte in Portugal, war Gründer der Junta de Defesa dos Direitos de África, Präsident des Partido Nacional Africano und Gründer des Movimento Nacionalista Africano, also von den beiden der mit den meisten Führungstätigkeiten in Organisationen und Zeitungen.
Zwei weitere Figuren verdienen Erwähnung: Georgina Ribas und Mário Domingues. Georgina Ribas (1882-1951), in Angola geboren, kam mit drei Jahren nach Portugal und wurde später Pianistin und Musiklehrerin. Sie war Vizepräsidentin des Grémio ‚Ké-Aflikana‘ dos Africanos und Sekretärin des Rats der Liga das Mulheres Africanas. Mário Domingues (1899-1977) kam im Alter von nur wenigen Monaten von der Insel Príncipe nach Portugal, war Journalist und Schriftsteller. Er arbeitete für die anarchistische Zeitung A Batalha, war Hauptredakteur der Voz D’África, Direktor des África Magazine und Vertreter der afrikanischen Arbeiter im Partido Nacional Africano. Er bezog ab einem bestimmten Zeitpunkt unmissverständlich Stellung gegen Kolonialismus und für die Unabhängigkeit der besetzten Gebiete auf dem afrikanischen Kontinent [7].
Figuras @ montagem de Pedro Varela
Vorläufer im antirassistischen Kampf
Die kollektive Organisierung gegen den Rassismus nimmt im Lauf der Zeit unterschiedliche Formen an, und in Portugal entstehen mit dieser Generation die ersten derartigen Organisationen: Zeitungen, Zeitschriften, Vereinigungen, Ligen, Parteien, Bewegungen, etc.
1912 prangert die Zeitung Voz D’África zwei Jahre nach der republikanischen Revolution den anhaltenden Rassismus an: „… Die Verfassung bleibt weiter das Privileg einer Minderheit! Weiterhin herrscht das Kastenregime! Der infame Rassenhass, den wir Ausgestoßenen, stets Unterdrückten, in einem großzügigen Akt des Vergessens für immer vom portugiesischen Boden verbannt wissen wollten (…)“ [8]. 1931 schreibt Mocidade Africana: „Es ist mehr als deutlich und über jeden Zweifel erhaben, dass die schwarze Rasse nicht geringer ist als jede andere. Dass es gar keine geringere Rasse gibt“ [9]. Und 1932 betont África, Hitler, „der Mentor des deutschen Rassismus“ werde „eines Tages dem Schicksal aller Abenteurer – dem Vergessen – anheimfallen (…)“ [10].
Antirassismus zieht sich vom Anprangern des Rassismus bis zum Kampf gegen die Ideologie weißer Überlegenheit als Konstante durch diese Generation, von den ersten bis zu ihren letzten Publikationen, von deren kämpferischsten bis zu den moderatesten. Das macht sie zur Pionierin im antirassistischen Kampf in Portugal.
Panafrikanismus und W.E.B. Du Bois in Portugal
Der Panafrikanismus ist eine wichtige Ideologie für die Schwarze Bewegung und war Anfang des 20. Jahrhunderts eine entscheidende Motivation für internationale Einheit und Kämpfe. Zwei bedeutende Köpfe des Panafrikanismus, der Afroamerikaner W.E.B. Du Bois und der Afro-Jamaikaner Marcus Garvey, hatten enormen Einfluss auf die in diesem Text skizzierte Generation. Du Bois kam persönlich nach Portugal und Garvey ist regelmäßig in den Publikationen dieser Generation vertreten.
Zwischen 1900 und 1945 kommt es auf internationaler Ebene zu mehreren panafrikanischen Kongressen, an denen sich teilweise auch Mitglieder dieser Generation beteiligen. 1921 werden José de Magalhães und Nicolau dos Santos von der Liga Africana zur Teilnahme am internationalen Pan-Afrikanischen Kongress delegiert [11], und für 1923 war eine Sektion des Pan-Afrikanischen Kongresses in Lissabon vorgesehen.
W.E.B. Du Bois, eine der wichtigsten afroamerikanischen Führungspersönlichkeiten und intellektueller Kopf seiner Zeit, traf 1923 mit dieser Generation auf der wie er es nennt Lissaboner Sektion des 3. Pan-Afrikanischen Kongresses zusammen [12]. Das Gremium der Liga Africana hingegen berichtet, die Durchführung dieses Kongresses sei nicht möglich gewesen und es habe nur einen Vortrag von Du Bois gegeben, da weitere Repräsentanten nicht aus den Kolonien hätten anreisen können. [13]
Die Generation ist also nicht nur vom Panafrikanismus beeinflusst, sondern unmittelbar an dessen Ursprüngen auf internationaler Ebene beteiligt, und nicht von ungefähr versucht Du Bois auch eine Sektion in Lissabon zu organisieren. Man findet Beachtung in der internationalen Pan-Afrikanischen Bewegung, weshalb wir, um die Generation von späteren zu unterscheiden, sie „Pan-Afrikanisten“ nennen möchten anstatt der bisherigen Bezeichnung als „Protonationalisten“, ein Begriff, der sie eher als im Hintergrund einer kommenden Schwarzen Bewegung stehend betrachtet. Mário Pinto de Andrades‘ Konzept, das mehr auf die politische Uneindeutigkeit der Schwarzen Bewegung im „Mutterland“ zielt, soll damit keineswegs in Frage gestellt werden, doch es muss auch berücksichtigt werden, dass ein nationalistisch geprägtes Programm nicht im Mittelpunkt der politischen Agenda dieser Bewegung stand und sich erst später entwickelte.
William Du Bois @ montagem de Pedro Varela
Ein Neubeginn…
Der vorliegende Text soll ein Neubeginn sein und versucht, an die Bemühungen Mário Pinto de Andrades um die Wiederaneignung der Geschichte und des Erbes des Schwarzen Aktivismus in Portugal und portugiesisch besetzter Gebiete in Afrika anzuknüpfen, die der angolanische Nationalist und Intellektuelle leider zu seine Lebzeiten nicht abschließen konnte. Somit handelt es sich auch hier um eine Arbeit im Anfangsstadium, die lediglich einige Spuren aufzeigen will. Es gibt noch viel zu erforschen, zu analysieren und zu diskutieren über die „Pan-Afrikanisten“, von denen wir einiges lernen können. Ihre Träume und Kämpfe, ihre Fehler und Erfolge können nützlich sein für die Gegenwart. Aus unserer Sicht hat der Prozess, den wir zu illustrieren versuchen, mit seinen Debatten und Auseinandersetzungen, den Momenten der Bestätigung, des Aufstiegs und der Rückschritte, sehr deutliche Bezüge zu den antirassistischen Kämpfen derzeit in Portugal und weltweit.
Geschichte kann bekanntermaßen ein Werkzeug im Dienst der Unterdrückung und der Verbreitung von Ungleichheit sein, doch ebenso wissen wir, dass sie auch Triebfeder der Emanzipation sein kann. Die Existenz dieser Generation aufzudecken, hilft, den hegemonischen Paradigmen der portugiesischen Gesellschaft etwas entgegenzusetzen und damit auch dem noch immer in unsere Gesellschaft herrschenden Rassismus und der kolonialen Ideologie.
Wir schließen mit den mächtigen und poetischen Worten der ersten Seite des Lissaboner Protesto Indígena im Jahr 1921, von denen fast einhundert Jahre später immer noch eine große emanzipatorische Kraft ausgeht:
„Der Protest der Eingeborenen (Protesto Indígena) ist der Schmerz und das Leid, durchwirkt von Blut und von Tränen! Er ist Dantes Inferno aller Bedrängnis und aller Beklemmung! Die Agonie und die Demütigung aus fünf Jahrhunderte langem Martyrium! Aus ihm spricht schäumend vor Wut und Verzweiflung die homerische, jahrhundertealte Stimme der Millionen Opfer, Millionen Märtyrer, der Getöteten, Prostituierten, Geschändeten! Von Peitschenhieben geschunden, aus Tausenden Wunden blutend und eiternd, besitzen die Körper noch immer die Kraft und den Antrieb, der Fratze ihrer Peiniger den Protest aus tiefer Verachtung entgegenzuschleudern, diesen gewaltigen und beängstigende Ausbruch ihres unbeschreiblichen Elends! Die Toten befehlen es, die Toten sprechen, die Toten rächen sich! Beraubt der Güter, die sie einst besaßen; beraubt der Freiheiten, die sie einst genossen; hinterhältig ermordet und in Gräben verscharrt unter Spott und Gelächter, erheben die Toten sich nun triumphal aus den Gräbern, regen die Seelen sich und besingen den Sieg, legen sich wie ein Albtraum, Beklemmung und Angst über das grässliche Leben ihrer Henker! Unter dem Vorwand, ihnen eine Zivilisation zu bringen, was nichts als Lüge ist, plünderten, vergewaltigten, mordeten sie – rasend, bösartig, teuflisch ohne Gleichen! Seit dem 15. Jahrhundert bis heute ist die Geschichte dieses Verbrechens ein einziger Schandfleck aus Blut und Morast, eine Schande des Menschengewissens, das nach der satanischen Wut der Gerechtigkeit ruft! (…) Was haben die unschuldigen Opfer ihnen getan? Was war ihr Verbrechen? War die Farbe ihrer Gesichter etwa ein Stigma, eine Schande, eine Beleidigung? Nein! Tausend Mal nein! (…) Fünf Jahrhunderte! Und immer noch ist die Schwarze Rasse eine Kaste der Unterdrückten! (…) Ach! Doch der Protest wird sich so hoch erheben, so gerecht, so empört werden, dass die Steine von ihm einstürzen werden und beim Einsturz mit sich die Verräter, Lügner und die Tyrannen fortreißen! In dieser allseits gesegneten Stunde werden den Schwarzen, erstarkt durch die ruhige Kraft ihres Rechts und im vollen Bewusstsein der schillernden Vernunft ihres Rufs nach Gerechtigkeit, vielleicht mit Tränen in den Augen vom Beweinen der Toten, der ihnen zusteht, und vielleicht wird ihnen von den Besiegten die großzügige Absolution großer Seelen zuteil. Der „Protesto Indígena“ wird dann nur ein fein geschneiderter Anzug sein für das freie Leben, die Gleichheit der Menschen im universellen Einklang“ (O Protesto Indigena Nr. 1. Lissabon, 21.11.1921, S. 1)
Ursprünglich erschienen auf BUALA (08.01.2019)
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Bibliografie
[1] Vergl.: Silencing the past: power and the production of history (1995) von Michel-Rolph Troillot; Os Negros em Portugal: Uma Presença Silenciosa (1988 ) von José Ramos Tinhorão; O Negro no Coração do Império. Uma memória a resgatar – Séculos XV a XIX (1999) von Didier Lahon.
[2] Mário Pinto Andrade (1928-1990) war ein angolanischer Essayist, Intellektueller und antirassistischer Kämpfer. Als Marxist und Verteidiger Schwarzer Kultur war er Mitbegründer und Gründungspräsident der Volksbewegung zur Befreiung Angolas MPLA. 1974 wurde er als politischer Abweichler aus der Partei ausgeschlossen und aus Angola verbannt. Im Exil in Guinea-Bissau war er Minister für Information und Kultur. Siehe: “Mário Pinto de Andrade: a lucidez é um sorriso triste“ (2009) von Pedro Cardoso auf Buala https://www.buala.org/pt/cara-a-cara/mario-pinto-de-andrade-a-lucidez-e-um-sorriso-triste
[3] vergl.: Mário Pinto de Andrade 1997: 101-102
[4] vergl.: Mário Pinto de Andrade 1997: 139
[5] Tribuna D’Africa Nr. 7 (18). Lissabon, 22.06.1913, S.1
[6] Tribuna D’Africa Nr. 7 (18). Lissabon, 22.06.1913, S.3
[7] vergl.: “The First Stirrings of Anti-Colonial Discourse in the Portuguese Press” (2018)“ von José Luís Garcia.
[8] Voz d’africa Nr. 7, 01.12.1912, S.1
[9] A Mocidade Africana Nr. º24. Lissabon, 12.1931, S.4
[10] Africa Nr. 2. Lissabon, 21.05.1932, S.3
[11] Correio de Africa Nr. 5. Lissabon, 07.07. 1921, S.1
[12] vergl.: “Pan-africa in Portugal” in The Crisis vol. 27 Nr. 4 (1924) von W.E.B. Du Bois.
[13] Correio de Africa. Lissabon, 10.09.1924, S.1