Lissabon war jahrhundertelang das Zentrum des
portugiesischen Kolonialreiches, weshalb sich die kolonialen Spuren
unweigerlich auch, aber nicht nur, in die Gegenwartsgeschichte einschreiben.
Während der letzten hundert Jahre und insbesondere zur Zeit des sogenannten Estado
Novo
[1] war man bestrebt, die koloniale
Erzählung der Stadt nicht nur anhand von Monumenten aufrechtzuerhalten, sondern
diese auf den gesamten städtischen Raum zu erweitern.
Unter dem Motto der portugiesischen Weltausstellung von 1940 (pt. Exposição do Mundo Português), begann die urbanistische Neugestaltung der ehemaligen Gemeinde Belém, in deren Zuge eine ganze Gemeinde beseitigt, Produktionsmittel zerstört und Bewohner*innen verdrängt wurden. Nach Abbau der Ausstellungspavillons blieben einige der neuerbauten Elemente, wie etwa das Denkmal der Entdeckungen (pt. Padrão dos Descobrimentos) oder
die Parkanlage Jardim da Praça do Império,
der Stadt erhalten. Monumente, Statuen, museale
Ausstellungsstücke und bestimmte Benennungen innerhalb der Stadt – wie die
Umbenennung des Viertels der Kolonien (pt. Bairro das Colónias
) in Bairro do
Ultramar
(Übersee) und anschließend Bairro Praça
das Novas Nações
(der Platz der Neuen Nationen) – lassen leicht das koloniale Narrativ
Lissabons erkennen und werden auch deshalb zu Zielen einer zeitgenössischen,
dekolonialen und gegen die Barbarei gerichteten Kritik. Die eigentliche
Wahrheit über dieses Narrativ ist jedoch viel dichter und komplizierter.
Betrachtet man etwa die Straßennamen des Viertels Penha da França im Lissabon der 1950er
Jahre, fällt auf, dass diese von Militärmitgliedern und bedeutenden Akteuren
der portugiesischen Kolonialpolitik in Afrika (in Portugal auch bekannt als Die
Afrikanisten –
Os Africanistas
) geprägt wurden.
So finden sich hier Namen wie etwa: Paiva
Couceiro, Eduardo Galhardo, Artur de Paiva, Francisco Pedro Curado, Mouzinho de
Albuquerque, Teixeira Pinto usw.
Auf fast ironische
Weise bringt uns eine gründliche Untersuchung dieser Persönlichkeiten auf die
Spur afrikanischer Oberhäupter, deren Geschichten in der offiziellen
portugiesischen Geschichtsschreibung verschwiegen und kaum erforscht wurden.
Die Spuren reichen von Gungunhana bis zu den
verschiedenen Sobas
[2] unter Eduardo Galhardo.
Das stadtdurchdringende koloniale Element zeigt sich in Lissabon auf vielfältige Art und Weise, sowohl vereinzelt, als auch in seiner Komplexität. Die Beispiele gehen dabei über Formen und Symbole hinaus und schließen auch die Namensgebung der Straßen der Lissabonner Gemeinde Penha da França oder des Viertels Navegadores (dt. Seefahrer) mit ein – einem durch einen Umsiedlungsprozess entstandenen Viertel mit rassifizierter Bevölkerung.
„Der Großraum Lissabon ist aufgrund seiner geographischen und sozialen Lage bereits kolonial.“