Weltweit gehören Bronzen aus Benin für Museen zu deren kostbarsten Objekten. Auch die auf dem Kunstmarkt erzielten Preise bezeugen diese Bedeutung. 1897 wurden die Gussarbeiten aus der durch britische Truppen eroberten Hauptstadt des Königreichs Benin (heute Nigeria) geplündert. Bald darauf fand der Nachfrageboom nach Kunstgegenständen aus Benin City einen seiner Anfänge am Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe (MKG).
Die Diaspora der Benin Bronzen
Seit dem 15. Jahrhundert wurden in Benin City der Hauptstadt des Edo Reichs im Gebiet des heutigen Nigerias in aufwändigen Verfahren Metallgussarbeiten angefertigt. Die Vielfalt der Objekte der an den Palast des Obas angeschlossenen Gilde der Bronzegießer reichte von kleineren Gegenständen über Reliefplatten mit historischen Darstellungen bis hin zu Gedenkbüsten von realistischer Qualität. Als britische Truppen 1897 während einer großangelegten Invasion den Palast des Oba von Benin plünderten, erbeuteten sie eine große Menge höfischer Objekte, darunter große Mengen Elfenbein und tausende dieser, heute als Benin Bronzen bekannten Gussarbeiten. Mit den Plünderungen verließen bedeutende religiöse Heiligtümer, Dokumente der Sozialgeschichte und Insignien herrschaftlicher Macht, die Edo-Gesellschaft und den Kontinent. Heute zählen die Benin Bronzen zu den bekanntesten und umstrittensten Artefakten im Besitz europäischer Museen. Mehrere Tausend von ihnen befinden sich derzeit in Sammlungen außerhalb Nigerias – bis auf sehr wenige Ausnahmen entstammen alle der 1897 zerstörten Palastanlage. Ebenso sind die Bronzen begehrte Gegenstände privater Sammlungstätigkeit und werden als wegweisende Impulsgeber der sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts herausbildenden modernen Kunst verstanden. Auf dem Kunstmarkt wurden noch in den letzten Jahrzehnten Millionen-Beträge für besondere Stücke erzielt.
Als ein Zentrum dieser neuen Bedeutungsentwicklung ab 1897 erwies sich Hamburg. Dort erwarb Justus Brinckmann, erster Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe wenige Monate nach dem Feldzug Gussarbeiten aus Benin. Die dabei begründete fachliche und populärmediale Öffentlichkeit war der Beginn der heute weitreichenden Geltung der Kunstgegenstände. Der Direktor war zudem als Vermittler und Wiederverkäufer an der frühen Verteilung der Bronzen aus Benin beteiligt. Jedoch sind die Spuren der Benin Bronzen in Hamburg weitaus umfangreicher.
Das Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) findet sich unweit der Hamburger Innenstadt. Der erste Direktor des MKG, Justus Brinckmann, war früh am Handel mit den Benin Bronzen beteiligt und trug zu ihrem Bekanntwerden bei. Foto: Jonas Ehrsam 2021
Ankunft der Benin Bronzen in Hamburg
Die Einnahmen Benin Citys durch britische Truppen im Februar 1897 festigte den politischen Einfluss Großbritanniens in der Region zwischen Lagos und dem Nigerdelta. Mit der Eroberung der Stadt gingen Plünderungen einher, die nicht als spontaner Exzess missverstanden werden dürfen. Schon während der Planung des Feldzuges, waren die Verantwortlichen von großen Mengen Elfenbein in der Stadt ausgegangen, die zur Refinanzierung der Militäraktion dienen sollten. Dennoch schien der massenhafte Fund von kunstfertigen Bronzearbeiten überraschend, oder zumindest nicht bedacht.
Die Funde wurden aus den Schreinen der Stadt und der Palastanlagen zusammengetragen, unter Offizieren aufgeteilt und zu Vorzugspreisen an beteiligte Soldaten verkauft. Elfenbein und Bronzen, aber auch andere Kunstgegenstände verließen Benin City mit dem Invasionsheer. Der Großteil der heute bekannten Benin Bronzen gelangte so nach Lagos und schließlich nach London. Gerade die ersten Objekte in Deutschland belegen jedoch, dass nicht alle Artefakte, die heute in den Sammlungen lagern, diesen Weg nahmen. Nicht wenige Stücke erreichten den Hamburger Hafen ohne den Umweg über London direkt aus Westafrika.
Eine Rechnung des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe (MKG), datiert auf den 13. September 1897, belegt den Kauf eines „Fetischbaums“ und eines „Bronze Kopfes“ zum Preis von 2000 Mark. Verkäufer war Friedrich Erdmann, ein junger Deutscher, der für das Handelshaus Bey & Co an der Küste südlich Benin Citys tätig war. Für den Ankauf verantwortlich war Justus Brinckmann. Diesem zufolge, hatte Erdmann die Stücke selbst aus dem Schutt der Stadt geborgen. Beide befinden sich noch heute in Hamburg. Brinckmann war sich deren Herkunft durchaus bewusst. Über die Invasion des Königreich Benins wurde weltweit berichtet und auch die Hamburger Tagespresse verfolgte die Geschehnisse am Golf von Guinea. Er wusste jedoch wenig über die Artefakte, ihre Verwendung und ihre Darstellungen. Jedoch erkannte der Direktor in ihnen, hinsichtlich Darstellungsweise und Fertigungstechnik, herausragende Werke (subsaharisch) afrikanischer Kunst. Eine Entdeckung, die er für sich zu nutzen wusste.
Auf dem Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte referierte Brinckmann am 10. November 1897 zu dem Sensationsfund der „Bronzen aus Benin“ und beeindruckte das Fachpublikum mit den Originalobjekten. Es sollten nicht die einzigen Stücke bleiben, deren Ankunft in Deutschland auf Erdmann oder das Handelshaus zurückgeführt werden können. 1898 erwarb Felix von Luschan, Direktorialassistent des Berliner Völkerkundemuseums und bedeutender Konkurrent Brinckmanns, 271 Stücke aus Benin von Bey & Co, von denen er 183 für die Berliner Sammlung behielt (Vgl. Völger 2007: 218). Und auch das Hamburger Völkerkundemuseum verzeichnet mindestens 15 dergleichen durch Bey & Co und die Familie Erdmann.
Bis heute wird das traditionelle Gusshandwerk in Benin City fortgeführt. In einem aufwendigen Verfahren, das dem traditionellen gleicht, werden heute neue wie auch klassische Designs umgesetzt. Foto: Jonas Ehrsam 2020
Reliefplatte mit einer Kampfszene, frühes 17. Jh., Benin. Quelle: Sammlung MKG Hamburg
Reliefplatte mit drei Würdenträgern, letztes Viertel 16. Jh., Benin. Quelle: Sammlung MKG Hamburg
Das alte Königreich Benin
Das bis 900 n. Chr. zurückreichende alte Königreich Benin stand schon seit dem 15. Jahrhundert in Kontakt mit wechselnden, an der Küste Westafrikas aktiven Kolonialmächten. Als zentrale Lokalmacht ermöglichte das Königreich zwischen Lagos im Westen und dem Nigerdelta im Südosten erst portugiesischen, dann niederländischen und später englischen Händlern und Gesandten den Zugang zu den Ressourcen des Landes. Portugiesische Händler erwarben hier bereits im 15. und 16. Jahrhundert Guineapfeffer, Gold und Elfenbein. Das Königreich entwickelte sich fortan auch zu einem Zentrum des transatlantischen Handels mit versklavten Menschen, das aufgrund seiner Lage das Innere des Landes mit den europäischen Handelsstützpunkten an der Küste verband. Im Gegenzug erreichten verhüttete Metalle aus europäischen Minen die Region und das Königreich. Diese wurden unter anderem in Form sogenannter Manillen, metallener Ringe gehandelt und fungierten bald als Währung. Frühere Forschungen deuten unter anderem auf das Handelshaus der Fugger als wichtiger Akteur des Handels mit Metallen nach Westafrika via Portugal hin. Die Bedeutung der Manillen, die eingeschmolzen das Material zur Herstellung der Benin Bronzen lieferten, war für das Königreich Benin so groß, dass ihre Funktion als Zahlungsmittel immer wieder in der höfischen Kunst dokumentiert ist.
Im 19. Jahrhundert etablierte sich schließlich Großbritannien als einflussreichste Hegemonialmacht in der Region. Mit der Berliner Konferenz über die Aufteilung Afrikas 1884/85 festigte sich diese Vormacht, die zur späteren britischen Kolonie Nigeria führte. Doch auch deutsche Handelshäuser waren seit den 1850er zwischen Lagos und Calabar am Golf von Guinea tätig und bauten sich eine bedeutende Stellung im Handel mit den damals begehrtesten Rohstoffen der Region, den Ölen und Kernen der Ölpalme aus. Ein Versuch des Hamburger Unternehmens G. L. Gaiser eine deutsche Kolonie „Mahinland“ zu errichten, die an das Gebiet des Königreichs Benin angrenzen sollte, scheiterte 1885 endgültig. Ebenfalls am Handel mit den Bronzen beteiligt war auch Gaisers Angestellter Heinrich Bey (damals deutscher Wahlkonsul in Lagos), späterer Inhaber von Bey & Co und Arbeitgeber Erdmanns. Obwohl der Druck der englischen Konkurrenz nach 1885 weiter stieg, setzten die Hamburger Handelshäuser ihre Geschäfte vor Ort fort.
Karte Afrikas von 1885. Quelle: Petermanns Geographische Mitteilungen; v. 31; plate 8. Urheber: Hermann Habenicht (1844-1917). © Gemeinfrei
Hamburger Kaufleute als Kunsthändler
Bereits im Dezember 1897 wünscht sich die Hamburger Presse mehr Stücke aus „dieser merkwürdigen Fundgrube“ für die städtischen Sammlungen. Schließlich eröffneten diese „doch völlig neue Ausblicke in eine alte Kultur von Ländern, mit denen hamburgische Handelsinteressen vielfach verknüpft sind“ (Neue Hamburger Zeitung vom 12.12.1897, S. 6). Abhilfe kam nicht nur aus England.
Immer wieder waren es deutsche Kaufleute, die für Hamburger Firmen in Westafrika tätig waren, die den deutschen Museen nach 1897 Objekte aus Benin anboten. Auch wenn die meisten der hierzulande befindlichen Stücke aus Benin ihren Weg während der frühen Hochphase ihres Handels über englische Händler und Auktionshäuser, wie W. D. Webster, Hale & Sons, Sotheby‘s und J.C. Stevens nach Deutschland fanden, ist die Menge der Artefakte, die Deutschland direkt erreichten beachtlich. Zu den Zulieferern gehörte neben Bey & Co auch Eduard Schmidt, der erst für das Handelshaus Witt & Büsch tätig war und dann als Konsul in Lagos fungierte. Schmidt war in den Besitz von 80 Objekten gelangt, zu denen er angab, sie in Westafrika von einem Edo gekauft zu haben. Über die Sammlung, die Brinckmann im März 1898 im MKG ausstellte, berichtete die Hamburger Presse, nicht ohne die kolonialen Verbindungen der Metropole nach Westafrika hervorzuheben. „Daß sie ihren Weg nach Hamburg und nicht nach London genommen haben, spricht in bedeutsamer Weise für die bedeutsamen Handelsbeziehungen unserer Stadt zum Lande ihrer Herkunft. Hoffentlich hat Hamburg nun auch die Kraft sie festzuhalten.“ (Altonaer Nachrichten vom 14.03.1898, S. 2) Diese Hoffnung blieb unerfüllt. 1899 verkaufte Schmidt seine Sammlung für 33.000 Mark an das Berliner Völkerkundemuseum und wurde dafür mit einem Orden und einer Audienz beim Kaiser entlohnt. Ebenfalls 1899 bot ein leitender Mitarbeiter G. L. Gaisers, der in den Besitz von Benin Bronzen gelangt war, diese dem Berliner Haus unter Luschan an. Ein Angebot an das Berliner Museum aus dem Jahr 1902 stammte wiederum vom Hamburger Kaufmann Oskar Meyer. Auch eine Fotografie schickte Meyer mit seinem Schreiben. Die Aufnahme zeigt eine Zusammenstellung von Gegenständen unterschiedlicher Art, nach der Aussage Meyers präsentiert durch den Sohn eines Chiefs der Edo, der ihm die Objekte verkauft habe. Aus heutiger Sicht kommt dem Angebot Meyers vor allem durch ein Objekt besondere Brisanz zu. Zwischen den Gegenständen präsentiert Meyer einen menschlichen Schädel, den er als „Schädel eines Bini“ beschreibt. Die Praxis vieler ethnologischer Museen des späten 19. Und frühen 20. Jahrhundert schloss das Sammeln menschlicher Überreste ein. Sowohl die mit ihnen verbundene rassistisch geprägte anthropologische Forschung, als auch die, oft in erheblichem Maß unkonsensuelle Aneignung, beweisen den Handel und das Sammeln von human remains als unentschuldbaren Ausdruck kolonialer Macht und besonderes moralisches Verbrechen. Sowohl das Hamburger als auch das Berliner Museum für Völkerkunde verzeichnen den Ankauf von Benin-Stücken aus der Hand Oskar Meyers, dem in späteren Quellen eine Faktorei in der deutschen Kolonie Kamerun zugeschrieben wird und der zwischen 1899 und 1913 mindestens sechs Mal nach Westafrika reiste.
Dass die Deutschen Anbieter auf „Ankäufe“ von Einheimischen verweisen, muss mit Skepsis betrachtet werden. Regelhaft sind diese Behauptungen nicht belegt oder näher ausgeführt. Zudem muss bedacht werden, dass die Begründung nicht dazu diente die Legalität des Erwerbs zu belegen, sondern dazu diente, möglichen Käufern die authentische Herkunft der Stücke zu versichern.
Der Markt für Benin Bronzen
Heute finden sich in zwei Hamburger Museen Objekte aus dem Königreich Benin. Den größten Teil beherbergt das Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (kurz MARKK, ehemaliges Hamburger Völkerkundemuseum). Zu den weit mehr als 200 Stücken gehören nicht nur Guss- sondern auch Holz- und Elfenbeinarbeiten. Das MKG verfügt außerdem über drei Stücke, die von Brinckmann für die eigene Sammlung behalten und nicht weiterverkauft wurden.
Zweifelsohne waren die europäischen Museen bis in die 1920er Jahre dominante Kraft auf dem Markt für Benin Bronzen, jedoch war ihre Sammlungstätigkeit auch mit zahlreichen privaten Akteuren verknüpft. Zu diesen zählten auch Händler, für die der Kauf und Verkauf sogenannter Ethnografika zum Kerngeschäft wurde. In Hamburg war es das Familienunternehmen Umlauff, das für den Verkauf der Kolonialwaren besonderer Art bekannt war. Hierzu gehörten Tiere und Tierpräparate, Muscheln und auch Kunst- und Kulturgegenstände wie Kleidung, Instrumente und religiöse Objekte aus der gesamten kolonialisierten Welt. Die Gegenstände wurden ab 1889 in Umlauff's Weltmuseum auf dem Hamburger Spielbudenplatz verarbeitet, ausgestellt und verkauft. Neben vielen anderen, erwarben die Völkerkundemuseen in Stuttgart, Frankfurt, Hamburg und Berlin später Stücke aus Benin von unterschiedlichen Mitgliedern der Hamburger Familie.
Professionalisierte Händler wie die Umlauffs, oder auch der englische W. D. Webster (und andere) machten ihr Geschäft nicht nur mit Museen, sondern ebenso mit Privatsammler*innen. Dergleichen Händler, und später auch Auktionshäuser und Galerien haben die bis heute anhaltende Zirkulation der Benin Bronzen vorangetrieben. Mit dem privaten Handel gingen mehrere Effekte einher. Die als Kunstwerke gehandelten Objekte stiegen im Wert und zerstreuten sich über den gesamten Globus.
Rückgabe
In den letzten Jahren verdeutlicht sich die Wichtigkeit einer Dekolonisierung der europäischen Gesellschaften in vielerlei Debatten. Eine Auseinandersetzung besonderer Intensität zeigt sich in der Frage, wie mit Objekten und Sammlungen wie den Benin-Bronzen umzugehen ist, die zur Zeit des Kolonialismus unter asymmetrischen und gewaltsamen Bedingungen nach Europa gebracht wurden. Trotz wiederholter Rückgabeforderungen und dem Wissen um die gewalttätige Geschichte ihres Raubes, haben bisher nur wenige Benin Bronzen ihre Plätze in den europäischen Sammlungen verlassen. Aus Hamburg gab es bisher keine Restitution.
Im April 2021 vereinbarte eine Gesprächsrunde unter der Kulturstaatsministerin Monika Grütters unter der Teilnahme der Benin Dialogue Group eine Intensivierung der „Gespräche über Rückführungsprozesse und künftige Museumskooperationen mit der nigerianischen Seite“ (Auswärtiges Amt 2021). Der Beschluss stellt Rückgaben in Aussicht, bleibt jedoch weitestgehend unkonkret. Die Benin Dialogue Group selbst konferiert seit nun mehr als 10 Jahren hinsichtlich der Rückgabeforderungen aus Nigeria.
Auswärtiges Amt. Pressemitteilung vom 30.04.2021. Erklärung zum Umgang mit den in deutschen Museen und Einrichtungen befindlichen Benin-Bronzen. https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/benin-bronze/2456786 (abgerufen am 10.05.2021).
Reuther, Silke: Die Bronzen aus Benin, in Reuther, Silke; Schulze, Sabine 2018: Raubkunst?, S. 18-59.
Völger, Gisela: Kustos, Kaufmann, Benin-Forscher, in: Plankensteiner 2007: Benin, Könige und Rituale, S. 213-226.
Wehler, Hans-Ulricht: Bismarck und der Imperialismus, Frankfurt a. M. 1985.
Zuletzt geändert am: 25/12/2024 14:26:25