Portugal war zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert eines der zentralen Länder des Versklavungshandel. Angesichts dieser Tatsache ist es verblüffend, dass die Hauptstadt dieses ehemaligen Imperiums erst jetzt ein Mahnmal zu Ehren versklavter Menschen erhält. Die bisherige Leerstelle verrät viel über den Umgang Portugals mit seiner Vergangenheit und über das Fortwirken dieser Vergangenheit im systemischen Rassismus der Gegenwart. Gleichzeitig markiert die Schaffung dieses Mahnmals aber auch einen Zeitpunkt, an dem die imperiale Erinnerungswelt überdacht und mit neuer Bedeutung besetzt werden kann und eine Stadt möglich wird, in der sich alle Menschen repräsentiert fühlen.
Nichts ist jemals abgeschlossen. Die Rolle von Erinnerungsarbeit ist es, selbst schwierige Themen als eine Möglichkeit ins Gedächtnis zu rufen, um die Ablehnung von Gewalt zum Ausdruck zu bringen, die dem Thema innewohnt. Das gilt auch für den Handel mit menschlichem Leben, der Sklaverei.
Es ist wichtig zu erwähnen, dass das Mahnmal zu Ehren versklavter Menschen nicht der Initiative einer Institution, sondern ausschließlich der Initiative eines Vereins von Bürger*innen zu verdanken ist, die erst anschließend von der Stadt Lissabon unterstützt wurde. Wir sprechen von Djass – dem 2016 entstandenen Verein für Menschen afrikanischer Herkunft, der über das Instrument des Bürgerhaushalts in Lissabon die Stadt in einer offenen Denkschrift aufgefordert hat, die Erinnerung an den Schrecken des Menschenhandels nicht auszulöschen. Vielmehr gälte es, dem herrschenden Narrativ der „Entdeckungen” und des „wohlwollenden“ Kolonialismus eine andere Erzählung entgegenzusetzen. Nach einem methodischen und demokratischen Prozess der Reflexion und Abstimmung wurde das Projekt Plantação: Pesadelo e Prosperidade (Plantage: Alptraum und Wohlstand) des angolanischen Künstlers Kiluanji Kia Henda ausgewählt. Daraus ging die Installation Plantação (Plantage) hervor, die noch in diesem Jahr auf dem Platz Largo José Saramago am Campo das Cebolas in der Nähe des Tejo realisiert werden soll.
2018 begann in Lissabon die Kontroverse über die Gründung und den Bau eines Museums der Entdeckungen. Sozialwissenschaftler*innen und Kulturschaffende reagierten mit offenen Briefen. Darin war zu lesen: „Es ist nicht zu rechtfertigen und unserer Zeit nicht angemessen, ein Museum der Entdeckungen zu schaffen, wenn wir nicht gleichzeitig den Moment nutzen, um über die portugiesische koloniale Vergangenheit und ihre Auswirkungen auf die Gegenwart und über die Erinnerungspolitik der Stadt Lissabon nachzudenken." Ebenso entstand das Manifest „Nein zu einem Museum gegen uns!", das von mehr als 100 Schwarzen Menschen unterzeichnet wurde. Darin wurde kritisiert, dass „die Abwesenheit unserer Perspektive in den nationalen Institutionen und den öffentlichen Diskussionen als naturalisiert und normalisiert wird, was uns als historische Subjekte und Beitragende zur Bildung der portugiesischen Gesellschaft in all ihren Aspekten ausradiert."
Der Verein Djass arbeitete bereits seit längerem an Themen wie Sklaverei und Kolonialismus und verknüpfte diese mit der aktuellen Situation rassistischer Diskriminierung in Portugal, um so Kontinuitäten der Unterdrückung wahrnehmbar zu machen. Unter dem Eindruck allgemeiner Unzufriedenheit brachte der Verein, in dem unter anderem Beatriz Gomes Dias und Evalina Dias aktiv sind, das Projekt des Mahnmals in die Abstimmung des Bürgerhaushalts ein.
Für Beatriz Gomes, die auch als Abgeordnete der Partei Bloco de Esquerda (Linksblock) im portugiesischen Parlament sitzt, ist es ein Sieg für die Stadt und für die Demokratie, dass der Wunsch konkretisiert wird, „versklavten Menschen Tribut zu zollen, ihnen Subjektivität und Menschlichkeit zu verleihen und die besondere Rolle anzuerkennen, die Portugal im Versklavungshandel hatte.”
Man muss die Anfänge des Projekts benennen, um die symbolische Tragweite dieses Erfolgs zu verstehen. Der Anspruch des Mahnmals ist ehrgeizig und notwendig: Die portugiesische Gesellschaft solle ihre herrschenden Narrative und deren blinde Flecken hinterfragen – das Wissen über die Geschichte der Schwarzen Menschen, die Gewalt und den Rassismus der Vergangenheit und der Gegenwart. Und sie solle sich der Rolle Portugals bewusst werden, etwa im Versklavungshandel, der von Lissabon aus betrieben wurde (mit regem Verkehr zwischen den Küsten Westafrikas, Amerikas, Asiens und Europas), und gleichzeitig dem falschen luso-tropikalen Konsens und den Demütigungen entgegentreten.
Mit dem Mahnmal solle nicht nur der afrikanische und Schwarze Widerstand und die langjährige Präsenz Schwarzer Menschen in der Stadt und ihr Beitrag für die portugiesische Gesellschaft gewürdigt, sondern auch eine Welt ohne Rassismus projiziert werden. Um dies zu erreichen, solle der pädagogische Aspekt, der sich gleichermaßen an Einwohner*innen und Besucher*innen wie an künftige Generationen richtet, im Vordergrund stehen und zu einer umfassenderen Kenntnis der Geschichte des Landes beitragen.
Um das Projekt umzusetzen, entwickelte Djass eine Arbeitsmethode, die auf wichtigen Diskussionen beruhte, um Ziele und Kriterien für das Mahnmal zu etablieren. Dabei ging es darum, den idealen Ort für die Installation zu bestimmen, zu entscheiden, welche Künstler*innen eingeladen werden und auch darum, wissenschaftliches und praktisches Wissen auszutauschen. Diese Diskussionen wurden in mehreren Phasen durch eine beratende Gruppe durchgeführt. Sie bestand aus Personen, die mit der Schwarzen und antirassistischen Bewegung verbunden sind, sowie Expert*innen für Geschichte oder postkoloniale Studien, Kunst und Museologie.
Ich hatte die Ehre und das Vergnügen, Teil dieser Gruppe zu sein, zusammen mit Anabela Rodrigues, Ângela Barreto Xavier, Isabel Castro Henriques, Marta Araújo Gomes, Joacine Katar Moreira, Luzia Gomes und Flávio Almada sowie Beatriz und Evalina Dias von Djass. Durch die vielfältigen und sich doch ergänzenden Meinungen waren die Treffen sehr anregend. Es entstand das Gefühl, an einem kollektiven Prozess der Öffnung der Stadt teilzunehmen. Es ging dabei nicht nur um das Mahnmal, sondern um einen Schritt von größter Relevanz in einem Lissabon, das Bereitschaft zeigt, seine kollektive und öffentliche Erinnerung neu zu denken und entsprechend zu handeln. „Die ganze Idee des Projekts beruhte auf Partizipation. Wir haben uns in keiner Weise eingemischt”, erklärte die Lissaboner Stadträtin für Kultur, Catarina Vaz Pinto.
Parallel dazu verhandelten Mitglieder von Djass die Bedingungen mit dem technischen Team der Lissabonner Stadtverwaltung. Es gelang ihnen, das Budget zu erhöhen, sodass 150.000 Euro für die Realisierung des Mahnmals zur Verfügung stehen. Eine weitere Zusage erhielten sie für die Schaffung eines ergänzenden Interpretationszentrums.
Schon früh war deutlich geworden, dass das Mahnmal (das dem Prinzip der Andeutung folgte und weniger figurativ und informativ sein sollte) nicht ausreichen würde, um alle Ziele zu erreichen. Es war deshalb notwendig, eine zusätzliche museologische Komponente zu schaffen, die eine historische Kontextualisierung der Aspekte der Sklaverei durch ein kulturelles Programm an öffentlichen Debatten und Ausstellungen ermöglichen würde. Eines der grundlegenden Ziele war es, die Produktion eines Diskurses um das Mahnmal und die Art und Weise, wie dieses dem Publikum präsentiert werden sollte, sicher zu stellen. So wurde beschlossen, das Mahnmal, das ursprünglich für die Ribeira das Naus vorgesehen war, auf den Platz Campo das Cebolas zu verlegen und das künftige Interpretationszentrum, beraten durch die Forscher *innen João Figueiredo und Judite Primo, in einem Gebäude einzurichten, das sich ebenfalls am Largo José Saramago befindet.
Es ist interessant, auf der Website des Mahnmals die Liste der Kriterien und den Beitrag der beratenden Gruppe zur künstlerischen Gestaltung nachzulesen. Ein Kriterium war, dass die eingeladenen Künstler*innen afrikanisch oder Brasilianer*innen oder Portugies*innen afrikanischer Herkunft sein sollten. Prioritär waren auch eine zeitgenössische Herangehensweise und dass die Künstler*innen in ihrer bisherigen Arbeit bereits Themen wie Rassismus, Kolonialismus, Postkolonialismus, Beziehung von Macht und Diskursen behandelt haben. Es wurden fünf Künstler*innen eingeladen. Drei von ihnen reichten Vorschläge ein: Grada Kilomba, Jaime Lauriano und Kiluanji Kia Henda. Ihre Entwürfe sind auf der Website des Mahnmals in der Form zu sehen, in der sie für die Abstimmung präsentiert wurden. Alle Künstler*innen haben sich mit den Strukturen von Macht, Kolonialismus und Besatzung beschäftigt, die die Produktion und Re-Produktion von Geschichte widerspiegeln. Als Siegerprojekt wurde Plantação des angolanischen Künstlers Kiluanji Kia Henda ausgewählt.
Grada Kilomba (Lissabon, 1968) ist eine interdisziplinäre Künstlerin mit Wurzeln in São Tomé und Príncipe, Angola und Portugal, die Fragen der Erinnerung, des Traumas und des Postkolonialismus erforscht. Sie ist Autorin des vielbeachteten Buchs Memórias da Plantação (Plantagenerinnerungen, Orfeu Negro, 2018), einer Sammlung von Episoden des Alltagsrassismus.
Kilomba präsentierte „ O Barco (Das Boot)” folgendermaßen: „Eine einfache Komposition aus Bänken, die detailgenau ein Schiff mit versklavten Menschen imitiert” und sich wie ein Garten mit einem Fluss am Horizont ausdehnt.
Mit dieser Arbeit wollte die Künstlerin die Vorstellung einer ruhmreichen maritimen Expansion unterlaufen, „einer Erzählung, die in vielen öffentlichen Monumenten am Fluss der Stadt eingeschrieben ist und die koloniale historische Vergangenheit romantisiert und eines der längsten und schrecklichsten Kapitel der Menschheit auslöscht – die Sklaverei”.
Das Projekt von Jaime Lauriano (São Paulo, 1985), der zwischen Porto und São Paulo lebt und arbeitet, lädt das „Publikum zu einer Reflexion über die koloniale Gewalt und ihre Fortführung bis in die Gegenwart” ein. Die vorgeschlagene Arbeit, die aus einem Dreieck und einem Kreis komponiert ist, versucht, religiöse Symbole mit Symbolen des Kampfes zu vereinen, Formen, die „die Geschichte des Widerstandes der versklavten Personen” würdigen und „die neuen Kämpfe der Gemeinschaften von Menschen afrikanischer Herkunft weltweit” inspirieren. Das Mahnmal, das als eine Arbeit mit bedeutender Präsenz in der Stadt geplant war, sollte ein Ort der Ehrerbietung und der Trauer werden, eine Plattform für Begegnungen, ein spiritueller und ritueller Ort.
Sechs Sitzungen für die Abstimmung
Der Vorschlag für das Mahnmal wurde weder von den direkt am Prozess Beteiligten ausgewählt (Djass, Stadt Lissabon und beratende Gruppe) noch von einer externen Jury, sondern durch direkte Abstimmung an verschiedenen Orten im Großraum Lissabon mit starker Präsenz afrikanischer Menschen und Menschen afrikanischer Herkunft. Die Sitzungen der Abstimmungen fanden im Vale da Amoreira (Moita), in der Fakultät der Sozial- und Geisteswissenschaften der Universidade Nova Lissabon, in Paço de Arcos (Oeiras), in der Bibliothek von Marvila (Lissabon), im Kulturzentrum Tabanka Sul, Arrentela (Seixal) und in Rio de Mouro (Sintra) statt. Dabei war Gelegenheit, mit den Communities zu diskutieren, die Ziele und Projektvorschläge zu präsentieren und jede*n Teilnehmende*n abstimmen zu lassen. Insgesamt wurden 77 Stimmen für den Vorschlag von Kiluanji Kia Henda, 48 für den von Grada Kilomba und 7 für den von Jaime Lauriano gezählt.
Plantação (Plantage) von Kiluanji Kia Henda
Auf einer dreieckigen Fläche von 1.000 m2 erstreckt sich ein Röhricht von drei Metern Höhe, das aus 400 Zuckerrohren aus schwarzem Aluminium besteht und auf 400 Jahre Sklaverei verweist. In der Mitte befindet sich ein halbrundes Amphitheater mit 12m Durchmesser.
Kiluanji Kia Henda sieht die Plantage als ein System der Unterdrückung und der Zwangsarbeit (siehe die Grundidee in Casa Grande e Senzala in den Rodungen in Brasilien und Afrika), aber vor allen Dingen als einen Hauptantrieb „für die Existenz des Versklavungshandels: Es waren starke Arme nötig, um in den Zuckerrohrplantagen zu arbeiten”, sagte er in einem Interview für das Projekt ReMapping Memories Lisboa – Hamburg.
Kia Henda wollte einen historischen Wendepunkt hervorheben, indem er in der Ikonografie der Plantage das System heraufbeschwört, das die Sklaverei ausgelöst und fortgeführt hat.
In seinen Worten ist „der Beginn der Sklaverei mit der Produktion von Zuckerrohr verbunden” und war ein “zentraler Faktor für die Fortführung dieses Leidens.” So ist auch das Mahnmal eine Plantage der Trauer, ein Ort der Begegnung und der Reflexion „im Zentrum des Leids.” Ein architektonischer Raum, der für Interpretationen offen ist und in dem die Erinnerungen in einen Dialog mit der Kunst im öffentlichen Raum treten, um eine eigene Semantik und Symbolik zu schaffen und so die neuen Bedeutungen und Narrative der Erinnerung zu stärken.
Initiativen wie das Mahnmal zu Ehren versklavter Menschen und vor allem der beispielhafte Prozess, mit dem sie durchgeführt wurden, schenken uns Hoffnung auf eine Erinnerung, die immer reaktiviert und neu besetzt werden kann: Durch eine Verbindung mit der Gegenwart und eine pädagogischen Intention im Hinblick auf die imperiale Vergangenheit, die Körper zur Ware machte und als Arbeitskräfte unterwarf und dabei versuchte, ihnen die Individualität zu rauben. All dies geschah im Namen der Macht, der Besetzung von Territorien, der Ausbeutung von Ressourcen und der Produktion von Reichtum.
Es ist deshalb notwendig, uns dieses lange Kapitel der Geschichte Portugals ins Gedächtnis zu rufen, die Geschichte der transatlantischen Reisen und die Geschichte der Stadt, die zum Teil mit dem Blut versklavter Menschen erbaut wurde, die von reichen Handelsfamilien gekauft wurden und die in den Häusern der „Herren” und auf den Docks am Tejo in zahlreichen Arbeiten der Erhaltung der Stadt dienten.
Keine Beschwichtigung
Es ist in Portugal zum Common Sense geworden, die Geschichte "reinzuwaschen" oder Gewalt zu naturalisieren und so bestimmte Gründungsnarrative von Portugal (das Land der Entdeckungen, des sanften Kolonialismus, der Lusophonie, etc.) zu reproduzieren. Diese Narrative werden zur Zeit sehr umkämpft, sie werden diskutiert und dekonstruiert, indem an die tragischen Aspekte der Überseeexpansion, wie die Sklaverei, die Zerstörung von Kulturen und Ressourcen und an die tragischen Folgen des Kolonialismus erinnert wird. Obwohl diese kritischen Stimmen schon lange existieren und diese auch im öffentlichen Diskurs hörbarer werden, werden nach wie vor die negativen Aspekte des Kolonialismus abgeschwächt und als "ruhmreiche Taten" eines abenteuerlustigen Volkes umgedeutet, auch um sie für den Tourismus verwertbar zu machen.
Die Vergangenheit schreibt sich in das kollektive Gedächtnis oft in einer Form ein, die von öffentlicher Hand dominiert und von den Medien aufrechterhalten wird. Vergangenheit wird so als kollektive Erinnerung nur teilweise abgelagert. Diskussionen um das Erinnern bleiben spannungsgeladen, weil sie mit Wünschen für die Gegenwart, Erwartungen an die Zukunft und einer Abwertung der erinnerten oder zum Schweigen gebrachten Geschichte verbunden sind. Dieses Mahnmal zu Ehren und zur Erinnerung an die versklavten Menschen in Lissabon ist ein unschätzbarer Beitrag. Wie der Kameruner Philosoph Achille Mbembe in Brutalisme schreibt: „Die Pflicht zur Rückgabe und Wiedergutmachung [ist] der erste Schritt zu einer echten Gerechtigkeit auf unserem Planeten.”
Zuletzt geändert am: 21/11/2024 22:55:36