Jenfelder Au

© Nicole Benewaah Gehle

Jenfelder Au

Die ehemalige Lettow-Vorbeck-Kaserne - Tür an Tür mit Trotha

Daniel K. Manwire & Anke Schwarzer
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Das Gelände der ehemaligen Lettow-Vorbeck-Kaserne zeigt noch jetzt die nationalsozialistisch-koloniale Verflechtungsgeschichte. Und nicht nur das: Der Ort steht auch für eine Verklärung kolonialer Akteure und Verbrechen in der Bundesrepublik Deutschland und in der Bundeswehr. Verschiedene Interventionen zeigen, dass es ist nicht einfach ist, den mächtigen Bauten demokratische Narrative entgegenzusetzen.

Hohe Birken wachsen vor den alten Kasernenblocks, ein Bach windet sich entlang moderner Familienwohnungen. Schaukel, Sandkiste und Rutsche stehen am Ende des ehemaligen Exerzierplatzes der Lettow-Vorbeck-Kaserne. Die Spielgeräte gehören zu einer Kindertagesstätte, die 2018 in das alte Offizierskasino gezogen ist. Über dem Terrakotta-Bauschmuck mit Gasmaske, Handgranate und Gewehr flattern heute weiße Tauben, die auf eine abnehmbare Kunststoffhülle gedruckt sind. Die Friedenssymbole verhüllen die denkmalgeschützten Militaria. Ein Haus weiter blickt das Reliefporträt von Lothar von Trotha auf die spielenden Kinder. Fünf dieser Kasernengebäude benutzt die Bundeswehruniversität heute als Studentenwohnheim. [1] Auf dem Parkplatz grillen an manchen Abenden junge Männer.

Koloniale Traditionspflege 

„Einer der jungen Studenten wusste nicht einmal, wer von Trotha war und ein anderer meinte, er wisse es, dürfe aber nicht darüber sprechen“, schilderte Jephta Nguherimo 2016 seine Eindrücke, nachdem er das Kasernengelände besucht hatte. Der Nachfahre von Opfern des Völkermords an den Ovaherero lebt in Washington, D.C. und hat dort das Ovaherero/Mbanderu and Nama Genocide Institute (ONGI) mitbegründet. Es habe ihn sehr erschüttert, dass in Hamburg junge Leute in Heimen der Bundeswehruniversität untergebracht sind, die die Namen kolonialer Befehlshaber tragen. Unter jenen befindet sich auch von Trotha, der als Oberbefehlshaber und Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika die Vernichtung der Ovaherero und Nama befahl. „Ich frage mich, was ihnen über von Trotha erzählt wurde und warum sie nicht darüber sprechen möchten“, so Nguherimo.

Der von den Nationalsozialisten gewählte Name wurde von der späteren Bundeswehr beibehalten: Schriftzug am Eingang der ehemaligen Kaserne, © Anke Schwarzer 

Das Trotha-Haus befindet sich auf einem Kasernengelände, das die Nationalsozialisten zwischen 1934 und 1938 im Zuge der Aufrüstungspolitik errichtet haben. Heute entsteht auf dem 35 Hektar großen Areal die Siedlung „Jenfelder Au“ mit über 700 Wohnungen. Um die Erinnerung an die Kämpfe und die gefallenen Soldaten der Kolonialarmee während des 1. Weltkriegs wach zu halten, war das Gelände nach den beiden Kolonialmilitärs Paul von Lettow-Vorbeck und Ludwig von Estorff benannt worden. Beide waren bei der Einweihung zugegen. Lettow-Vorbeck übergab die Tradition der Schutztruppen an die Bataillone des Infanterieregiments 69.

Gedenk- und Protestveranstaltung zum 100. Jahrestag des Maji-Maji-Krieges in Tansania, 2005, © Bildungsbüro Hamburg e.V.

Darüber hinaus errichtete die Wehrmacht das „Schutztruppen-Ehrenmal“, ein über 10 Meter aufragendes Klinkermonument, auf dem der Reichsadler sitzt. Im unteren Bereich zählen Gedenktafeln die toten Soldaten des Deutschen Kaiserreichs in den vier deutschen Kolonien in Afrika auf. [2]Und immer, wenn die mit der „Traditionspflege“ betrauten Soldaten durch den Haupteingang marschierten, zogen sie am ebenfalls 1939 eingeweihten „Deutsch-Ostafrika-Kriegerdenkmal“ vorbei.   

In Reih und Glied

Die beiden Terrakotta-Reliefs des Kriegerdenkmals zeigen einen überlebensgroßen Schutztruppen-Offizier, der einer Reihe von afrikanischen Askaris und Lastenträgern vorsteht. Das Denkmal erweckt den Eindruck großer Eintracht. Tod und Leiden? Verbrannte Erde? Vergewaltigung? Plünderungen? Krieg und Gewalt blendet das Denkmal aus. 

Performativer Rundgang „Uhuru heißt Freiheit“ mit Israel Kaunatjike, Zaida Horstmann und Christian Koop, 2013, © Anke Schwarzer

Die Nationalsozialisten nährten darüber hinaus die Legende der „treuen Askaris“, die angeblich loyal an der Seite deutscher Kolonialarmeen, insbesondere der von Lettow-Vorbeck, standen. Die Askaris waren Söldner, die meist aus anderen Regionen stammten als ihr militärisches Einsatzgebiet. Bei den Trägern, Boten und Spähern wiederum handelte es sich häufig um Zivilisten, die verschleppt und zur Arbeit gezwungen worden waren. Vielen von ihnen starben, andere liefen davon und noch Jahre nach Kriegsende versuchten manche den ausstehenden Sold einzufordern. Einer von ihnen war Mahjub bin Adam Mohamed Hussein.

Umbenennung unerwünscht 

Er stammte aus einer Söldnerfamilie, die sich im Dienste der Deutschen an der militärischen Besetzung des heutigen Tansanias beteiligt hatte. Als Kindersoldat der Lettow-Vorbeck-Einheit und, wie er selbst schrieb, als „Angehöriger der Nubier-Truppe“ kämpfte er im 1. Weltkrieg zusammen mit seinem Vater gegen die britische Armee. 1929 reiste er von Dar es Salaam nach Hamburg. Seinen Namen vereinfachte er für die deutschen Ohren und nannte sich Mohamed Husen. Er beantragte den nicht gezahlten Sold für sich und seinen Vater sowie etwas später, als die Nationalsozialisten bereits an der Macht waren, das Ehrenkreuz des Weltkrieges. Lettow-Vorbeck selbst hielt diese militärische Auszeichnung für einen afrikanischen Kolonialsoldaten für „zu weitgehend“ und „nicht zweckmäßig“. [3] 1941 wird Husen aus rassistischen Gründen ins Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt, wo der Vater zweier Kinder 1944 stirbt.

Temporäre Umbenennung der Lettow-Vorbeck-Kaserne 2003, eingedeutschter Name für Mahjub bin Adam Mohamed Hussein, © Anke Schwarzer

Sein Name stand 2003 auf einem Banner, das den Schriftzug Lettow-Vorbeck-Kaserne für kurze Zeit überdeckte, bis es eilig vom Bezirk entfernt wurde. Mehrere Initiativen protestierten damit gegen die geplante Einweihung einer als „Tansania-Park“ verklärten Grünanlage mit dem „Schutztruppen-Ehrenmal“ und dem neu platzierten „Deutsch-Ostafrika-Kriegerdenkmal“, dem sogenannten „Askari-Relief“, sowie weiteren Gedenkobjekten, die in der Zeit der Bundesrepublik angebracht worden waren, etwa die Gedenktafel für die in Nordafrika gefallenen Soldaten des NS-Afrikakorps. [4] Denn schon zehn Jahre nach dem Sieg der Alliierten über das nationalsozialistische Deutschland zogen wieder deutsche Soldaten in die Kaserne: Die Bundesrepublik Deutschland durfte eine Armee aufbauen. Die Bundeswehr übernahm den vordemokratischen Namen für die Kaserne in Hamburg Jenfeld und behielt die bauplastischen Medaillons der Kolonialverbrecher.

Kränze und Ehrenwache  

Mit Kranzniederlegungen und Gedenkveranstaltungen ehrten alte und neue Soldaten die Taten und Toten deutscher kolonialer und nationalsozialistischer Militärverbände. Die Hakenkreuze an der Fassade und am „Schutztruppen-Ehrenmal“ waren zu diesem Zeitpunkt freilich schon entfernt worden, denn nach Hamburgs Befreiung zog die britische Armee ein und benannte die Blöcke in St Andrew´s Barracks und St Patrick´s Barracks um.

War da was? Die Ausstellung des IBA-Referenzprojekt Jenfelder Au 2013 thematisierte die koloniale und nationalsozialistische Hinterlassenschaft nicht, © Anke Schwarzer

Seit der Schließung der Lettow-Vorbeck-Kaserne im Jahr 1999 machen sich Architekt*innen und Politiker*innen Gedanken über die Stadtentwicklung, den Wohnungsbau und moderne Abwassersysteme. Wie aber mit den denkmalgeschützten Kasernenensemble und seinen gewaltvollen Spuren umgegangen werden soll, ist selten Gegenstand der Debatte. Die Ausstellung zum Konversionsprojekt der Internationalen Bauausstellung 2013 etwa bedachte die koloniale und nationalsozialistische Hinterlassenschaft mit keinem Wort.

Lernort? Gedenkstätte? Abriss? 

Mit Performances, Kundgebungen und Rundgängen werfen zivilgesellschaftliche Initiativen immer wieder kritische Blicke auf die Geschichte und Gegenwart des Ortes. Seit vielen Jahren versuchen sie den Widerstand der afrikanischen Bevölkerung insbesondere in Namibia und Tansania zu würdigen. Die Künstlerin Hannimari Jokinen schlug vor zwanzig Jahren einen Park Postkolonial vor, der mehrere Kolonialdenkmäler aus der Stadt versammeln und neu arrangieren sollte, um veränderte Sichtachsen und Gegenbilder zu schaffen. Angedacht waren auch eine Bildungsstätte und ein Kulturraum. Andere Initiativen forderten eine Gedenkstätte für die Opfer des Kolonialismus.

Performativer Rundgang „Uhuru heißt Freiheit“ mit Israel Kaunatjike, Zaida Horstmann und Christian Koop, 2013, © Anke Schwarzer

Eine im November 2005 zum Volkstrauertag geplante Kranzniederlegung der Traditionsverbände verhinderte ein Bündnis mehrerer Vereine und Initiativen. Es veranstaltete zeitgleich eine Kundgebung zur Erinnerung an den 100. Jahrestag des Maji Maji Kriegs (1905-1907) gegen die Kolonisierung im damaligen Deutsch-Ostafrika. Ganz anders dagegen verlief die Begehung „Kasernenechos: Widerstand und Widerhall“, die 2011 anlässlich des 50. Jahrestags der Unabhängigkeit Tansanias, stattfand: Sie wurde von der Polizei abgebrochen, der Initiative „freedom roads!“ und den rund 40 Teilnehmer*innen wurde vorgeworfen, eine „unangemeldete Demonstration“ durchzuführen.

Mit Wasser und Asche, Verhüllung und Offenlegung, mit lebendigen Skulpturen und „weißen Flecken der Erinnerung“ wollten sie den NS-Kolonialdenkmälern zu Leibe rücken und temporäre Momente einer würdevollen postkolonialen Erinnerungskultur schaffen. „Wer einen umzäunten Kleingarten mit Nazi-Kolonialdenkmälern als ‚Tansania-Park’ bezeichnet“, sagte Mnyaka Sururu Mboro, einer der Teilnehmer*innen damals, „ist respektlos und verhöhnt die zahlreichen Opfer des deutschen Kolonialregimes“.

Schweigen und Entehrung der Opfer  

Die Proteste setzten sich fort. 2017 schrieb die Association of the Ovaherero Genocide in the USA (AOG) einen offenen Brief an die Stadt Hamburg: „Von Trotha war ein Kriegsverbrecher und sollte nicht als Held behandelt und von der Stadt Hamburg und ihrer Bevölkerung verherrlicht werden, die vielleicht nicht das ganze Ausmaß seiner Rolle bei der Vernichtung der Ovaherero und der Nama kennt.“ [5] Er habe Wasserlöcher vergiftet und die unbewaffneten Männer, Frauen und Kinder in die Wüste getrieben, wo viele verdursteten, so Ngondi A. Kamaṱuka, Tunee Tjirongo, Veraa Katuuo und andere Mitglieder des Vorstandes der AOG. 

Besuch von Vertreter*innen von Ovaherero- und Namaverbänden aus Namibia und den USA 2018, © Anke Schwarzer

Eine Antwort auf den offenen Brief erhielt die AOG nicht. Immerhin: 2018 wurden Informationstafeln am Eingang des Trotha-Hauses angebracht, durch den die uniformierten Bundeswehrsoldat*innen ein und ausgehen. Selbstverständlich vermögen die kleinen Plaketten es nicht, die Ausdruckstärke des Kasernenensembles und die Verehrung eines Völkermörders zu brechen – geschweige denn, ein würdiges Erinnern an die Opfer und die Widerstandskämpfer*innen gegen die kolonialen Verbrechen zu bieten.


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Fußnoten

[1] Alle Gebäude sind nach Kolonialmilitärs benannt, die in Deutsch-Ostafrika Kolonialkriege geführt haben: Zelewski-Haus, Wissmann-Haus, Trotha-Haus, Schleinitz-Haus und Scheele-Haus. Über den Eingängen befinden sich die Terrakotta-Reliefs dieser fünf Kolonialmilitärs sowie von Eduard von Liebert und Paul von Lettow-Vorbeck. Viele von ihnen waren auch in anderen Kolonien im Einsatz, insbesondere in Deutsch-Südwestafrika und in China.

[2] Togo, Kamerun, Deutsch-Südwest-Afrika und Deutsch-Ostafrika.

[3] Bechhaus-Gerst, Marianne (2007): Treu bis in den Tod. Von Deutsch-Ostafrika nach Sachsenhausen. Eine Lebensgeschichte. Berlin: Christoph Links Verlag, S. 97. Siehe auch: https://www.youtube.com/watch?v=6MnXHO4ozOQ; https://www.stolpersteine-berlin.de/de/biografie/263.

[4] Mehr zur Debatte rund um die Eröffnung des „Tansania-Parks“ siehe Möhle, Heiko (2007): Kolonialismus und Erinnerungspolitik. Die Debatte um die Hamburger „Askari-Reliefs“. In: Steffi Hobuß / Ulrich Lölke (Hg.): Erinnern verhandeln. Kolonialismus im kollektiven Gedächtnis Afrikas und Europas. Münster: Das Westfälische Dampfboot, S. 222-239.

[5] Association of the Ovaherero Genocide in the USA (OGA), 27.1.2017: Open Letter to the city of Hamburg and the people of Hamburg. (abgerufen, 18.5.2021), Übersetzung der Autor*innen.

Zuletzt geändert am: 20/11/2024 05:15:57