Hong-Kong Bar

© Nicole Benewaah Gehle 2021

Hong-Kong Bar

Die Hong-Kong Bar im Hamburger Stadtteil St. Pauli

Yingrui Bi
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Die Hong-Kong Bar im Hamburger Stadtteil St. Pauli gilt als einziges Relikt des damaligen Hamburger Chinesenviertels. Warum sie auch ein postkolonialer Erinnerungsort ist, zeigt ein Blick auf die historischen Hintergründe der deutsch-chinesischen Beziehungen und auf die Verflechtungen und Kontinuitäten zwischen der deutschen Kolonialgeschichte und der nationalsozialistischen Verfolgung chinesischer Migrant*innen. Dabei stellt sich auch die Frage der Verbindungen zum heutigen Alltagsrassismus gegen Chines*innen und Asiat*innen generell.

Aufgrund der Globalisierung, insbesondere seit der Reform- und Öffnungspolitik Chinas, reisen immer mehr chinesische Tourist*innen nach Deutschland. Mir wurde als chinesischem Germanisten nicht selten die Frage gestellt: Warum gibt es in Deutschland keine Chinatowns? In der Tat gab es in der deutschen Geschichte einige Chinatowns, vor allem in Hamburg, Bremen und Berlin, die jedoch von den Nationalsozialisten auf brutale Weise zerstört wurden. Hamburgs Chinatown bzw. das Hamburger Chinesenviertel, das sich um die Schmuckstraße im Grenzgebiet zwischen St. Pauli und Altona befand, wurde am 13. Mai 1944 unter Leitung der Gestapo mit dem Handlungsslogan Chinesenaktion zerstört, mit deren unmenschlicher und rassistisch motivierter Räumung und Deportation sich der Historiker Lars Amenda bereits 2005 auseinandersetzte. Nichtsdestotrotz ist diese unrühmliche Geschichte der heutigen deutschen Bevölkerung vorwiegend unbekannt. 

Der Alltagsrassismus gegenüber Chines*innen bzw. Asiat*innen ist weiterhin präsent, was durch die aktuelle Corona-Pandemie sogar verschlimmert wird (vgl. Spiegel 2020). Auf der anderen Seite rücken in den letzten Jahren Deutschland und seine kolonisatorische Vergangenheit in den Fokus der geisteswissenschaftlichen Forschungen in Deutschland, die allgemein als postkoloniale Studien bezeichnet werden können. Da die heutige chinesische Stadt Qingdao zwischen 1897 bis 1914 vom Deutschen Reich kolonisiert wurde, ist es nicht nur für die Wissenschaftler*innen, die sich mit dem Rassismus gegenüber Chines*innen und Asiat*innen befassen, sondern auch für Aktivist*innen der Dekolonialisierung und der Stärkung der Erinnerungskultur unabdingbar zu ermitteln, welche Verflechtungen und Kontinuitäten es zwischen der deutschen Kolonialgeschichte und dem deutschen Nationalismus gibt und in welcher Relation der heutige Alltagsrassismus gegen Chines*innen und Asiat*innen zu ihnen steht. In dieser Reportage handelt es sich um einen Erinnerungsort, und zwar die Hong-Kong Bar auf St. Pauli, die als einziges Relikt des damaligen Hamburger Chinesenviertels gilt und deren kürzlich verstorbene Besitzerin Marietta Solty die Tochter eines chinesischen Opfers der bereits erwähnten Chinesenaktion war.
Die Hong-Kong Bar in St. Pauli, letztes Relikt des früheren chinesischen Viertels in Hamburg. Foto: © Nicole Benewaah Gehle

Historische Hintergründe der deutsch-chinesischen Beziehungen

Bevor auf die Chinesenaktion sowie ihre Erinnerungsgeschichte eingegangen wird, halte ich es für wichtig, einige Grundzüge der historischen Hintergründe in Bezug auf die deutsch-chinesischen Beziehungen näher zu erläutern, um besser zu verstehen, warum die Hong-Kong Bar ebenfalls als postkolonialer Erinnerungsort bezüglich der Kontinuitäten des Rassismus betrachtet werden soll.

Die kulturellen Kontakte zwischen Deutschland und China können bereits auf das 17. Jahrhundert zurückgeführt werden, wo es unter deutschen sowie anderen europäischen Adligen ein großes Interesse an chinesischer Zivilisation gab, was dazu führte, dass eine an China orientierte Kunst- und Architekturrichtung in Europa entstand, die später als Chinoiserie bezeichnet wurde (vgl. Woesler 2006). Damals wurde China auch von Jesuiten als hochzivilisiertes, friedliches und für eine christliche Mission erfolgsversprechendes Reich dargestellt (vgl. Rinaldi 2006). Aufgrund der wachsenden kolonisatorischen Interessen der damaligen westlichen imperialistischen Länder sowie des Scheiterns einer umfassenden Verbreitung des Christentums in China wurde dieses positive Bild von China jedoch im 19. Jahrhundert völlig zunichte gemacht, was durch den folgenden Textabschnitt aus dem im Jahre 1883 erschienenen Handwörterbuch der Zoologie, Anthropologie und Ethnologie unter dem Stichwort Chinesen belegt werden kann, der nicht nur rassistisch motiviert, sondern auch politisch ideologisiert ist:

„Jahrhundertelang abgeschlossen von dem Verkehre mit fremden Nationen, ausser mit einigen Nachbarvölkern haben die Ch. der Gegenwart die Culturschätze der Vergangenheit zwar wenig vermehrt, aber ungeschmälert erhalten; auch sind dieselben das Produkt eigener Erfindung. Gegen Fremde herrscht im Inneren Chinas auch heute noch gewaltiger Hass und in manchen Theilen kann ein Europäer nur mit Lebensgefahr reisen." (Jäger/Reichenow/Frenzel/Matschie 1883: 125)

In diesem Handbuch wurde das Aussehen der Chines*innen außerdem sehr pauschal dargestellt, was höchst rassistisch und diskriminierend wirkt:

„Die Ch. sind […] untersetzt, selten über 1,50 Meter hoch, […] Augen klein, weit von einander abstehend, tiefliegend, fast schielend, schwarz und sichtlich schief gestellt […] Gesichtsfarbe gelblich oder bei Frauen krankhaft weisslich […] Die Ch. sind fleissig, geschickt, klug, vorsichtig, im Allgemeinen äusserst mässig, aber auch betrügerisch, ränkevoll, reizbar, feige, wollustig und unmässig im Opiumgenuss […] eine gewisse Gleichgültigkeit gegen das Leben, woraus sich wieder einzelne barbarische Sitten erklären."  (Jäger/Reichenow/Frenzel/Matschie 1883: 128-129) 

Betrachtet man die oben zitierten Beschreibungen der Chines*innen, sind gewisse Kontinuitäten des heutigen Alltagsrassismus gegenüber Chines*innen und Asiat*innen deutlich erkennbar, der sich nicht nur in sprachlichen Schimpfwörtern wie Schlitzauge manifestiert, sondern auch in der vorurteilsgesteuerten Annahme, dass Chines*innen gelbe Haut haben. Diese ist unmittelbar auf das rassistisch motivierte, politische pejorative Konzept der Gelben Gefahr  in der deutschen Kolonialzeit zurückzuführen, das auf den Rassentheorien im 18. Jahrhundert basiert. Obwohl Deutschland 1919 aufgrund des Versailler Vertrags alle Rechte zur Kolonialisierung im Ausland entzogen wurde, entstand zu dieser Zeit in Deutschland ein weiterer Nährboden für den Rassismus gegenüber Chines*innen, der schließlich unter Hitlers nationalsozialistischer Herrschaft seinen Höhepunkt erreichte, was zur Tragödie der sogenannten Chinesenaktion in Hamburg führte. 

Menschen, die mit der Geschichte der chinesischen Gemeinde in Deutschland etwas vertraut sind, könnten an dieser Stelle einen Einwand gegen mich erheben, nämlich, dass die sogenannte Chinesenaktion erst 1944 durchgeführt wurde und es zwischen dem von chinesischen Republikanern regierten China und Nazi-Deutschland sogar bilaterale Beziehungen gab. Ist die Chinesenaktion wirklich nicht rassistisch motiviert (vgl. Amanda 2005, 113), wie die Wiedergutmachungsbehörden der Bundesregierung nach dem zweiten Weltkrieg behaupteten? 

Rassismus gegen Chines*innen während der deutschen Kolonialzeit und das Hamburger Chinesenviertel

Um dem oben genannten Einwand entgegenzuwirken, muss meines Erachtens nach den historischen Gegebenheiten und der Entstehungszeit der chinesischen Gemeinden in Deutschland gefragt werden. Die ersten chinesischen Migranten in Deutschland waren vorwiegend Seeleute, die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert aus der Guangdong Provinz (bzw. Kanton) und der Zhejiang Provinz kamen. Nach ihrer Ankunft in Deutschland gingen diese chinesischen Seeleute während der Verladung und Reparatur der Schiffe für kurze Zeit an Land, um sich auszuruhen. So etablierten sich während der Zeit vor allem in norddeutschen Hafenstädten wie Hamburg und Bremen chinesische Gemeinschaften. Doch die „Hamburger Polizei achtete zur Zeit des Kaiserreichs penibel darauf, dass keine chinesischen Seeleute dauerhaft einwanderten. Das koloniale Hafenregime in Hamburg empfand den Hamburger Hafen als ein potentielles Einfallstor für unerwünschte (insbesondere für als ‚farbig‘ markierte) Migrant:innen“ (Amenda 2013, 1). Sogar ein Hygiene-Diskurs entfaltete sich, der auf die Choleraepidemie 1892 zurückzuführen ist und schließlich zu einer hygienischen Überwachung der chinesischen Seeleute im Hamburger Hafen führte (vgl. Amenda 2013). Dies erinnert mich nicht zuletzt an die vielen Vorfälle in Deutschland in Bezug auf rassistische Beleidigung und Gewalt gegen Chines*innen bzw. asiatisch aussehenden Menschen in Deutschland seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie. 

Geschichtlich betrachtet hatte Hamburgs Chinatown jedoch eine relativ glorreiche Zeit. Als das chinesische Generalkonsulat in Hamburg 1921 gegründet wurde, lebten dort bereits mehr als 2000 Chines*innen. In den 1920er Jahren war die lebhafte Hamburger Chinatown trotz des in der Gesellschaft weit verbreiteten Rassismus zu einer bekannten multikulturellen Attraktion in Deutschland geworden. Auch einer der bedeutendsten Schriftsteller der Weimarer Republik, Kurt Tucholsky, schwärmte für das Neu-China auf St. Pauli.

Eine Gedenktafel erinnert an das ehemalige Chinesenviertel und die Opfer der 1944 von der Gestapo durchgeführten „Chinesenaktion". Bild: © Yingrui Bi

Die Geschichte des Hong-Kong Restaurants und Chong Tin Lam

Zu der Zeit eröffnete Chong Tin Lam (geboren im 1907, Guangdong) im Jahre 1938, Vater von Marietta Solty (die Chefin der Hong-Kong Bar bis 2021), in St. Pauli ein chinesisches Restaurant, weil er in seinem kolonisierten Land China den Lebensunterhalt für die Versorgung seiner Familie nicht mehr bestreiten konnte. Da Chong Tin Lam aus der Guangdong-Provinz (bzw. Kanton) kam, nannte er sein Restaurant Hong-Kong, das in der Zeit noch britische Kolonie war, aber in der Geschichte immer zur chinesischen Provinz Kanton gehörte und seit 1997 Sonderverwaltungszone der Volksrepublik China ist. Nach Angaben seiner Tochter war Chong Tin Lam ein gutmütiger und großzügiger Mensch, der auch während des Kriegs mit dem chinesischen Konsulat in Berlin zusammenarbeitete, um Reisedokumente für ehemalige chinesische Kriegsgefangene bereitzustellen. 

Bei der Chinesenaktion  wurde Chong mit weiteren 130 chinesischen Migranten verhaftet, später von den Nazis schwer misshandelt und gefoltert. Einige überlebten dies nicht, ein Teil der Verhafteten wurde ins Konzentrationslager gebracht. Bei der wurden nicht nur chinesische Migranten verhaftet und gefoltert, sondern auch andere asiatisch aussehende Menschen sowie deutsche Frauen, die eine Beziehung zu chinesischen Einwanderern hatten. Obwohl Chong Tin Lam bei dieser Aktion nicht direkt starb, verursachte die Folter der Nazis im KZ-Fuhlsbüttel lebenslange physische und psychische Wunden, und er starb 1983. Seine Tochter Marietta Solty, die 1942 geboren wurde und im Juni 2021 verstorben ist, kämpfte jahrelang um Entschädigung. In einem Interview mit der Zeitung: „Nazis haben sein Leben zerstört“ ( 2012). Obwohl Nazi-Deutschland ihm so viel Leid zugefügt hatte, eröffnete Chong Tin Lam nach dem Zweiten Weltkrieg das Restaurant Hong-Kong wieder, nachdem er 1945 aus dem Kieler Zwangsarbeitslager nach Hamburg zurückgekehrt war. Er wurde Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und kämpfte bis zu seinem Tode um Entschädigung. Das Wiedergutmachungsamt betrachtete die als „ein normales polizeiliches Vorgehen gegen verdächtige Ausländer“ (Amenda 2005, 131), was Chong Tin Lam sowie seine Tochter zutiefst enttäuschte.

Stolperstein für Chong Tin Lam, 2019. Foto (Ausschnitt): © Hinnerk11, Wikimedia Commons, lizensiert unter: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International

Dank unterschiedlicher sozialer Engagements gibt es tröstender Weise heute in der Schmuckstraße eine Erinnerungstafel für einen ums Leben gekommenen Chinesen. Auf der Erinnerungstafel ist zwar ein Foto zu sehen, sein Name bleibt aber weiterhin unbekannt. Vor einem Jahr teilte mir Marietta Solty mit, dass nach einem dreijährigen Kampf ein Stolperstein für ihren Vater Chong Tin Lam in Hamburg-St. Pauli gesetzt wurde. Diese erfreuliche Nachricht scheint mir jedoch etwas zu spät zu kommen. Denn bis heute fehlt sowohl eine offizielle Entschuldigung als auch eine Entschädigung seitens der Bundesregierung gegenüber den Opfern der Chinesenaktion. Wegen des Ausbruchs der Corona-Pandemie stand die Hong-Kong Bar vor dem Bankrott und der damit verbundenen Schließung. Für die Erinnerungskultur, auf die Deutschland stolz sein kann, wurde meines Erachtens in Bezug auf die rassistisch und faschistisch motivierte Chinesenaktion bis jetzt zu wenig getan. Viele deutsche Politiker*innen wissen gar nicht, dass Chines*innen während des Nationalsozialismus in großem Umfang verfolgt wurden. Die Menschen sagen immer, dass die Gerechtigkeit irgendwann kommen wird. Wann wird dieser Tag kommen?

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Bibliografie

Amenda, Lars (2005): „Chinesenaktion“. Zur Rassenpolitik und Verfolgung im nationalsozialistischen Hamburg. In: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte, 91, S. 103-132.

Amenda, Lars (2013): Von China auf die Große Freiheit. Chinesische Migration in Hamburg im 20. Jahrhundert. (Online unter: https://www.hamburg-global.de/v1.0/placemarks/91l; abgerufen am 24.02.2021)

Jäger, Gustav, Anton Reichenow, Johannes Frenzel & Paul Matschie (Hgg.) (1883): Handwörterbuch der Zoologie, Anthropologie und Ethnologie, Bd. 2. Aus der Reihe Enzyklopädie der Naturwissenschaften 1880-1900. Breslau: Trewendt, S. 124-129.

Rinaldi, Bianca Maria (2006): The “Chinese Garden in Good Taste”. Jesuits and Europe’s Knowledge of Chinese Flora and Art of the Garden in the 17th and 18th Centuries. München: Martin Meidenbauer.

Spiegel (2020): Antidiskriminierungsstelle beklagt zunehmenden Rassismus in der Corona-Pandemie. (Online unter: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/corona-pandemie-starke-zunahme-von-rassismus-und-diskriminierung-a-f8eea2dd-a4df-45ab-ac6e-d6a4b0c06c4a; abgerufen am 24.02.2021).

Taz (2012): Das Montagsinterview "Nazis haben sein Leben zerstört" (Online unter: https://taz.de/Das-Montagsinterview/!5083357/; abgerufen am 10.03.2021). 

Woesler, Martin (2006): Zwischen Exotismus, Sinozentrismus und Chinoiserie, Européerie. 3. Aufl., überarb. und erw. Neuaufl. Bochum: Europäischer Universitäts-Verlag. 

Zuletzt geändert am: 21/11/2024 21:19:54

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