Der Baakenhafen ist ein wenig bekannter (post-)kolonialer Erinnerungsort, obwohl er ein zentraler Ort für die Rolle Hamburgs im Genozid an den Ovaherero und Nama ist. Tausende weiße deutsche Kolonialsoldaten wurden hier mit Feiern verabschiedet und empfangen, um den Kampf für die deutschen Kolonialinteressen zu unterstützen. Zusätzlich konzentrierte sich hier für ca. 100 Jahre der Hamburger Handel mit afrikanischen Ländern.
Handelsknotenpunkt im kolonialen Weltwirtschaftssystem
Als (post-)kolonialer Erinnerungsort hat der Baakenhafen grundsätzlich zwei Ebenen: Die Nutzung als Handelsknotenpunkt im kolonial geprägten Weltwirtschaftssystem und als Ort für die Inszenierung von kolonialer Gewalt. Beide Ebenen sind miteinander verbunden, da die Handelsreedereien auch die Kolonialsoldaten transportierten.
Die Entstehung des Baakenhafens und weiter Teile des Hamburger Hafens ist mit den kolonialen Handelsnetzwerken der Hamburger Wirtschaft verbunden. In der Mitte des 19. Jahrhunderts war eine grundlegende Neustrukturierung der Hafenwirtschaft in Hamburg nötig geworden, um im rasanten Wandel der Weltwirtschaft mithalten zu können. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts war dieses Wirtschaftssystem direkt vom Kolonialismus geprägt und auch die Hamburger Wirtschaft war ein Teil dieses Systems.
Für den Hamburger Hafen ging die Rechnung auf: Die neuen Hafenbecken und der Bau der riesigen Speicherstadt machten Hamburg zu einem der modernsten und schnellsten Häfen der Welt. Die Industrie und Wirtschaftsbetriebe im Hafen boomten und brachten viel Geld in die Hansestadt.
Ausschnitt aus: „Der Hafen von Hamburg“, Hamburg 1912. Quelle: © Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg
Am südlichen Ufer des Baakenhafens – dem Petersenkai – konzentrierten sich Hamburger Reedereien, die Schiffslinien rund um den afrikanischen Kontinent betrieben. Nachdem für die ersten 10 Jahre die „Hamburg-Amerika Linie“ (heute Teil der Hapag-Lloyd AG) das Kaiufer gepachtet hatte, übernahmen zum Januar 1904 die „Woermann-Linie“ und die „Deutsche Ostafrika-Linie“ gemeinsam mit der „Deutsche Levante-Linie“ die Kaianlagen. Mit diesen Reedereien begann die Geschichte des Baakenhafens als Hamburgs „Tor nach Afrika“ und Zentrum des Seehandels mit afrikanischen Ländern, die bis 1999 anhielt, als die wirtschaftliche Nutzung des Hafenbeckens für den Bau der HafenCity aufgegeben wurde.
Ehemaliger Kakaospeicher Schuppen 29 im Baakenhafen. Foto: © Jan Kawlath 2017
Truppentransporte von weißen Kolonialsoldaten
Im Baakenhafen wurden nicht nur Kolonialwaren verschifft, an Bord der Schiffe befanden sich auch Passagiere. Diese waren zum einen deutsche Siedler*innen, Kaufleute oder Kolonialbeamte. Mit den Schiffen wurden aber auch weiße deutsche Kolonialsoldaten mit ihren Waffen, ihrer Munition und Ausrüstung transportiert, da es keine rein militärischen Transportschiffe hierfür gab. Die Schiffslinien waren die Versorgungs- und Verbindungslinien zwischen Deutschland und den Kolonialgebieten und spielten somit eine sehr wichtige Rolle für das Funktionieren des Kolonialreiches. Der jetzige Forschungsstand zum Baakenhafen macht dabei deutlich, dass der Großteil der Transporte von Kolonialsoldaten während des Kolonialkriegs im heutigen Namibia stattfand.
Zwischen August 1900 und Mai 1907 fanden im Baakenhafen mindestens 86 Truppen- und Materialtransporte statt. Insgesamt 73 davon waren Truppen- und Materialtransporte mit insgesamt 23.145 Militärangehörigen und 11.065 Pferden für den Kolonialkrieg in Namibia, die zwischen Januar 1904 und Mai 1907 am Petersenkai angekommen oder abgefahren waren. Dies entspricht über 90 Prozent der Soldaten für den Kolonialkrieg. Während des Kolonialkriegs in China und der folgenden Besatzungszeit wurden zwischen August 1900 und November 1903 insgesamt zehn Transporte über den Baakenhafen abgefertigt. Anfang 1906 kamen zwei Rücktransporte der Marineinfanterie aus dem Kolonialkrieg in Deutsch Ost-Afrika am Petersenkai an und im Dezember 1902 ging ein Transport mit ca. 125 Marinesoldaten für eine Seeblockade vor der Küste Venezuelas vom Petersenkai ab. Diese Transporte bekamen von der Öffentlichkeit in der Stadt zum Teil viel Aufmerksamkeit und waren in heutiger Sprache so etwas wie „Events“ im Hafen. Die Transporte im Kontext des Kolonialkriegs im heutigen Namibia mit dem Genozid an den Ovaherero und Nama bilden dabei eine Art „Höhepunkt“.
Stets waren Vertreter*innen des Senats anwesend, um die Kolonialsoldaten offiziell zu verabschieden und ihnen Geschenke im Namen des Senats zu überreichen. Diese sogenannten „Liebesgaben“ bestanden meistens aus Postkarten und Zigarrentäschchen, die als Erinnerungsstücke für die Soldaten extra im Auftrag des Senats angefertigt wurden.
Zusätzlich spielten Militärkapellen vor Ort patriotische Lieder und teilweise kamen tausende Zuschauer*innen in den Hafen, um den Soldaten begeistert zuzujubeln. Diese Kolonialsoldaten waren an Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen beteiligt und haben den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts verübt. Lothar von Trotha etwa reiste vom Petersenkai in den Kolonialkrieg und wurde auch bei seiner Ankunft mit einer Feier im Namen des Senats und sogar persönlich vom Ersten Bürgermeister Burchard begrüßt, nachdem er den Genozid befohlen hatte. Für die Rolle Hamburgs im Kolonialkrieg im heutigen Namibia und beim Genozid an den Ovaherero und Nama ist der Petersenkai im Baakenhafen der zentrale Ort, an dem die Unterstützung von Seiten der Stadt deutlich wird.
Der Petersenkai in der heutigen HafenCity
Es gab um die Truppentransporte von Kolonialsoldaten zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Hamburg eine eigene Feierkultur, bei der die Rolle Deutschlands als Kolonialmacht und die dafür notwendige militärische Gewalt inszeniert wurde. Mit den Feiern wurde diese Gewalt sowie der dahinterstehende Rassismus legitimiert und normalisiert, in dem sie in einen nationalen Diskursrahmen eingebettet und die Rolle Hamburgs als koloniale Handels- und Hafenmetropole durch Politik und Presse zelebriert wurde.
Für die Stadt Hamburg ist die HafenCity mit dem Baakenhafen heute ein Ort, an dem ihr Verständnis und ihre Vorstellung einer europäischen Großstadt im 21. Jahrhundert realisiert sowie inszeniert wird und in der es für sie gilt „ein neues Stück Stadt […] identitätsbezogen [und] emotional neu zu definieren“ (HafenCity Hamburg GmbH 2016, S. 10). Der Baakenhafen ist also erneut ein Ort der Inszenierung.
Der Baakenhafen ist der letzte große Bauabschnitt der HafenCity und wird derzeit von Grund auf neugestaltet. Foto: © Nicole Benewaah Gehle
Aktuell ist der Baakenhafen der letzte große Bauabschnitt der HafenCity und wird von Grund auf neugestaltet. Mehrgeschossige Wohn- und Bürohäuser befinden sich im Bau und am östlichen Ende entsteht mit dem „Amerigo-Vespucci Platz“ der größte öffentliche Platz des gesamten Stadtviertels. Damit wird auch im Baakenhafen die einseitige Benennung von Straßen und öffentlichen Plätzen in der gesamten HafenCity nach vermeintlichen „europäischen Entdeckern“ unkritisch fortgesetzt. Diese Geschichtserzählung führt ungebrochen das koloniale Weltbild fort, in dem weiße europäische Männer vermeintliche „Entdecker“ der außereuropäischen Welt waren und in dem kein Platz ist für Erzählungen über die Gewalt und den Rassismus der Kolonialzeit sowie deren Fortwirkungen bis heute. Es stellt sich also die Frage, wessen Identitäten und Emotionen im Baakenhafen „neu definiert“ werden sollen, wenn weiterhin nur ein affirmatives und romantisierendes Verständnis der europäischen Expansion präsentiert wird, welches Perspektiven von BIPoC oder rassimuskritische Ansätze ausschließt.
Lars Amenda: „Tor zur Welt“. Die Hafenstadt Hamburg in Vorstellungen und Selbstdarstellung 1890–1970, in: ders./Grünen, Sonja [Hrsg.]: „Tor zur Welt“. Hamburg-Bilder und Hamburg-Werbung im 20.Jahrhundert. Dölling & Galitz, Hamburg/München 2008, S. 8–101.
HafenCity Hamburg GmbH: Themen. Quartiere. Projekte, Hamburg 2016.
Jan Kawlath: Der Hamburger Hafen und der deutsche Kolonialkrieg in Namibia. Die Inszenierung kolonialer Gewalt im Baakenhafen 1904–1907. Allitera Verlag, München 2019.
Gert Kähler und Sandra Schürmann: Spuren der Geschichte. Hamburg, sein Hafen und die Hafencity, in: HafenCity Hamburg GmbH [Hrsg.]: Arbeitshefte zur Hafencity. Hamburg 2010.
Tania Mancheno: All change, please! Über die Un-/Möglichkeiten der Dekolonialisierung des öffentlichen Raumes in Hamburg, in: ZAG. Antirassistische Zeitschrift, Ausgabe 70, Berlin 2015, S. 25–7.
Heiko Möhle (org.): Branntwein, Bibeln und Bananen. Der deutsche Kolonialismus in Afrika. Eine Spurensuche. Assoziation A, Hamburg/Berlin 2011.
Zuletzt geändert am: 23/11/2024 23:44:22